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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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Können einsetzt »zum Nutzen der Kranken entsprechend meinen Kräften und meinem Urteil« – da wird von der Zahlungsfähigkeit des Kranken nichts gesagt. Wer genügend Geld hatte, ließ dem Arzt so viel zukommen, daß dieser die Armen umsonst behandeln konnte; in diese Tugenden und das Augenmaß des ungefähren Wieviel mußten sich alle einüben. Diese Praxis gab es in Europa an einigen Orten bis in die Nachkriegszeit. Wenn Rechnung, dann bitte auch die Preistafel: 1 Herzschrittmacher: 1580 Euro; 2 Herzschrittmacher 2000 Euro; Privatkunden die Hälfte. Preisknüller zum Wochenende: Künstliches Hüftgelenk für nur 69,99 Euro!
Die ausdifferenzierte Moderne
    Die Vorstellung steht jedem als fertige Wahrheit zur Verfügung: Was vorher ungeschieden roh zusammenlag, das hat die Moderne analytisch ausdifferenziert, alles in seine korrekten Teilungen gebracht; besonders die Arbeit hat sich bis zur Vollkommenheit ausdifferenziert – während in der vormodernenProduktion ein einzelner Nagelschmied vielleicht zehn Nägel am Tag herstellte, hat die Differenzierung in einzelne Teilstücke dazu geführt, daß eine Maschine hunderttausend Nägel pro Sekunde fabriziert, ein unübersehbarer Fortschritt. Adam Smith und die Taylorisierung der Arbeit sind die Schutzpatrone der ausdifferenzierten Moderne.
    Die Gegenbewegung läßt sich leicht zeigen, die ungeheuren Differenzverluste der Moderne in der Bildung von Menschen. Kein Maler könnte heute so differenzierte und tiefsinnige Bilder zustande bringen wie die Maler der Renaissance und des Barock, dagegen bestaunen wir undifferenzierte eindrucksvolle Farbflächen. Der frühere Maler mußte in höchster Differenziertheit seine Farben selbst anrühren können – welcher Maler kauft sie heute nicht im nächsten Supermarkt? Die Tätigkeit des Handwerkers setzte höchst differenzierte Einzelkenntnisse voraus, die Zünfte waren vielfältig unterschieden, überall wurden subtile Unterscheidungen der Stoffe und ihrer Bearbeitung verlangt, die Gerüche spielten beim Kaufen der Waren eine Rolle – die Litanei der verlorenen Unterschiede endet nicht. Lektüreempfehlung: Das Lexikon untergegangener Berufe von Rudi Palla, 1998; The World We Have Lost von Peter Laslett.
    Wer »ausdifferenziert« sagt, gibt zu verstehen, daß es nach seiner Erkenntnis mit der Differenzierung jetzt zu Ende und aus ist, weiter kann es wirklich nicht gehen. Und wenn wir Steinzeitmenschen sind, gemessen an den Differenzierungen, die die selbstvergessenen Menschen noch vollbringen müssen?
Merckwürdig
    Â»Merckwürdig ist, daß Hr. Leibnitz eine Fliege, wenn sie ihm auch noch so große Beschwerlichkeit verursachet hatte, nicht getödtet habe. Auf Befragen, warum er einen solchen nach den bürgerlichen Rechten erlaubten Todtschlag zu begehen Bedencken trüge, pflegte er zu antworten: Man thue unrecht,ein so kunstvolles Lebewesen zu destruiren. Der berühmte Herr Christian Breithaupt berichtet solches. Wo der Hr. Breithaupt diese Nachricht von Herrn Leibnitz herhabe, meldet er nicht.«
Armes »weil«
    Eigentlich folgt auf das »weil« ein Nebensatz, weil das »weil« die Ordnung zwischen dem Hauptgedanken und dem subordinierten Nebengedanken stiftet, also eine syntaktische Funktion hat, deren Handhabung eine gewisse Satzgewalt und Sachkenntnis voraussetzt. Man muß wissen, was sich gehört; dem Hauptsatz gebührt der Hauptplatz, und das »weil« sagt, daß dies nicht so sein könnte, wenn da nicht ein bestimmter objektiver Grund seine hilfreichen Dienste getan hätte, ein Diener in Livree also, der um Anstand und Rangordnung weiß. Man achte auf das Schicksal des »weil«; es ordnet nicht mehr die Etikette des Oben und Unten, es stiftet nicht mehr die Syntax von Faktum und Grund, sondern ist in die Ebene der subjektiven Parataxe geraten. Man sagt nicht: »Ich komme zu spät, weil ich anderes zu tun hatte«, sondern: »Ich komme zu spät, weil – [kurze Pause] ich hatte anderes zu tun.« Das »weil« organisiert den Satz nicht mehr, sondern setzt nur zwei Gedanken nebeneinander. Summa summarum: Das ursprünglich hypotaktische »weil« übernimmt damit die Funktion des früheren parataktischen »denn«. Das Nebeneinander wächst wie die Gleichgültigkeit, die ihm folgt und vorhergeht. Eine Messe für das »weil« einer

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