Warum aendert sich alles

gut leben und regieren zu können.
    Die Bewohner der Außenbezirke blicken gespannt und ängstlich auf die Panzerkolonnen, die mit ihren dumpfen Motoren an ihnen vorbei ins Zentrum der Metropole rücken. Nur vereinzeltes Feuer aus Maschinengewehren ist zu hören.
Fortschritt I
    Wer schreitet fort? Nicht das Universum mit seinen Galaxien und Gegen-Galaxien, nicht das System der Planeten, nicht die Pflanzen und Tiere, sondern allein die Menschheit. Gibt es sie als einheitliches schreitendes Menschen-Wesen? Sicher nicht, wenn hier etwas schreitet, ist es ein gesichtsloses massenhaftes anonymes Es, das von keinem Menschen abhängt und auf keinen einzelnen Menschen angewiesen ist. »Fort« – weg, aber wohin? Geradeaus in ein unendliches Glück oder Unglück? Das Schreiten des Fortschritts ist eine Sache der unteren Gliedmaßen; was sagt der Kopf dazu? Leitet vielleicht die »invisible hand« den Fortschritt, blind und unwissend, wie es tastende Hände eben sind? Der subjektlose Vorgang ein Blindensturz? Alles geschieht nachweisbar mit den kleinen Verbesserungen, die die Arbeit zerlegen und fort- delegieren, der Fortschritt im Ausbau der Airbusse zu Kleinstädten, der Fortschritt in der Intelligenz der Haustüren, der Tarnkappenjäger und der Vorhersagen des Wetters. Die Gewalt der Fortschritte ist so umwerfend, daß sich niemand dem Mitschreiten entziehen kann, auch du nicht, little nemo.
Das Dreiklassen-System
    Während Marx die Gesellschaft in zwei Klassen einteilte, hat der neue Beschluß der Kultusministerkonferenz klargestellt: Die deutschen Universitäten setzen das preußische Dreiklassensystem fort und zerfallen in drei Stände: Die Schönen und Reichen und exzellent Begabten gehen in die drei oder vier Exzellenzuniversitäten bzw. Max-Planck-Institute unseres Landes, alles perfekt ausgestattet, jedem Romanistikstudenten stehen zwei Griechischlektoren zur Seite für alle etymologischen Eventualitäten, jedem Techniker drei Mathematiker, man spricht praktisch nur Amerikanisch, auf den Fluren sieht man die langbeinigen Präsidententöchter aller Länder dieser Erde, in den Labors drängen sich die Nobelpreisträger. Die Studiengebühren bewegen sich zwischen 30000 und 40000 Dollar pro Semester. – Sodann gibt es die Universitäten der Mitte, Sprache: Deutsch und Englisch, »Department of Soziologie«; »Welcome-Zentrum«; Gebühren 3000 bis 4000 Euro pro Jahr, Traditionsorte wie Tübingen, Erlangen, vielleicht Marburg. Die einzelnen Departments werden nach unterschiedlichen Inhalten getrennt. – Die untere Klasse spricht noch mit Stolz [von »stultus«, dumm, RB] nur deutsch, Gebühren 210– 213 Euro pro Studium, Präsenz obligatorisch, Schnellkurse für Fremdsprachen, Anwärter: Lehrer des einheitlichen Schultyps; Lehrende: Pädagogikfunktionäre. Inhaltliche Differenzen einzelner Fächer fallen fort, denn das Studium richtet sich ausschließlich auf die Vermittlung, »wie«, nicht »was« ist die Losung. Da die Lehrenden dieses dritten Typs nur gering bezahlt sind, vermittelt das Rektorat ihnen gegen geringe Gebühren Zweit- und Drittberufe. Die Studierenden können die Vorlesungs- und Übungsräume nachts als Schlafsäle benutzen. So bewährt sich hier die alte Idee praktizierter Humanitas. Die Orte dieser humanen Universitäten namentlich zu nennen verbietet die Höflichkeit.
Liquidation: liquidiert. Fortschritt II
    Â»Liquidation« steht auf dem Ausdruck, aber auch »Rechnung Nr. 534679«. Jeder weiß: Keine Dachdecker- oder Weinrechnung, sondern eine Arztrechnung. Aber warum schreiben die gebildeten Ärzte »Liquidation« und nicht einfach »Rechnung«? »Liquere« heißt »flüssig sein«, auch »einleuchtend sein«, »liquor« also »Flüssigkeit«, »Likör«. »Liquidatio« gibt es nicht im alten Latein. Der Arzt erlaubt sich, eine bestimmte Summe für seine Bemühungen zu »liquidieren«, anders als alle anderen, die eine Holzrechnung grob ins Haus schicken. Wie und wann immer es zu der noblen »Liquidation« zur Abgrenzung von der niederen Handwerker- und Geschäftsrechnung gekommen ist: Die Ärzte möchten mit dem pseudolateinischen Titel kaschieren, daß sie mit den Rechnungen, die sie versenden und eintreiben lassen, den Hippokratischen Eid brechen. Der Eid besagt, daß der Arzt sein