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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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Alltag des Herrn kuriose Sonntagsspäße ein, die beim »Fiat« nicht ausgelöscht wurden.
Selbstverschuldet, fremdverschuldet
    Wie man Selbstverschuldung im Halse herumdrehen und profitabel in Fremdverschulden umbuchstabieren kann. Wenn ich meine Gesundheit durch Rauchen ruiniere, so läßt sich jetzt gerichtlich demonstrieren, daß mein debiles Handeln seine Ursache nicht in mir selbst, sondern im Objekt meiner Sucht hat. Meiner Sucht? Fremdverschuldet: Die infantile Sucht ist Produkt des Produzenten, gehört mir also gar nicht. Meine Lunge sei, so will es die Natur, mein, aber nicht meine Sucht; mein Begehren ist ein Wechselbalg der Industrie, ihr Wille geschieht im Schatten meines nur scheinbaren Willens. Meine Begierde war das Machwerk anderer Menschen. Wer aber erhält dann das Geld des gewonnenen Prozesses? Ist der Kläger überhaupt eine verantwortliche Person, die den Empfang der Summe selbst bestätigen und das Geld selbst ausgeben kann? Die Tabakfirmen sollten dies bestreiten und auf den sofortigen Rückfluß der Entschädigungssummen pochen.
    Oder aber: Die Industrie erzeugt Abhängigkeiten, die in der Werbung nicht erscheinen. Dies wäre der Casus für den Staatsanwalt, auf tückische Vergiftung zu klagen. Die Zerstörung der Produktionsanlagen in den Industrieländern könnte in diesem Fall nach gehöriger Vorwarnung ähnlich wie bei den Mohnfeldern in Kolumbien aus der Luft geschehen, in einer Nacht wären die Probleme weltweit erledigt.
Managergehälter
    Die Manager, die ihre monströsen Gehälter und Abfindungen verteidigen und auf die 90-Stunden-Woche und den großen Bereich der Verantwortung hinweisen, demonstrieren hiermit eindrucksvoll, daß etwas mit ihnen nicht stimmt. Der Angriff kommt aus einer moralischen Überlegung: Die Spitzengehälter seien ungerecht, weil sie überdimensional hochsind. Die Manager lassen sich dazu verführen, gerechtigkeits-moralisch zu antworten, und können sich dabei nur blamieren. Jeder Kanzler jedes Staats hat vermutlich ein ähnliches Stundenpensum, der Verantwortlichkeitsbereich ist dem der Firmen jedoch weit überlegen, so daß sie in einem Amtsjahr Milliardäre werden müßten. Ein durch die Verwaltung von morgens bis abends gedemütigter, trotzdem noch nächtlich an seiner Wissenschaft interessierter Hochschullehrer arbeitet bis zu 90 Stunden am Tag. Die Managermillionen lassen sich nicht moralisch rechtfertigen, sondern sind das Ergebnis einer Fehlentwicklung im Wirtschaftssystem, so wie das bizarre Hirschgeweih eine Fehlentwicklung in der Natur ist. In einem bestimmten Rhythmus wird Moralkritik geübt, sie verebbt und wird dann in Dürrezeiten öffentlicher Empörung erneuert.
Brief des Vaters an Figulus, den Sohn
in Antiochien, 420 post Christum natum
    (Bibliotheca Vaticana Ms. 33587/ed. pagan. H 1)
    Â 
    Mein Sohn,
    seit ich allein in unserer Villa in Umbrien lebe, ist jede Nachricht von Dir noch willkommener als früher! Du bist jetzt Kommandeur der Legion in Antiochien, und ich hoffe, daß Du Dich gut in der Landessprache und den fremden Sitten auskennst und für das Wohl aller sorgst, die Deinen Befehlen unterstehen, seien es nun Römer, seien es Barbaren. Die Philanthropie ist am Ende doch das höchste Gut, nach der Gerechtigkeit natürlich, denn der Mensch muß zuerst der Vernunft und danach den mitmenschlichen Gefühlen folgen, wie Seneca sagt. Hier hat sich seit Deinem letzten Besuch äußerlich wenig geändert, und doch: Wir Römer spüren und wissen, daß das Imperium bei seiner geographisch größten Ausbreitung innerlich auf sein Ende zugeht; denn wie sollen wir wohl die Herrschaft aufrechterhalten, wenn wir nur nochwenige sind neben den unzähligen Germanen, Afrikanern, Parthern, Illyrern – aus allen Weltteilen sind sie hier. Über die Korruptheit unserer eigenen Bevölkerung brauche ich Dir nichts zu schreiben, es ist, als ob sie in ihr den einzigen Lebenssinn (»sensum vitae«) finden können, und ich fliehe in die Erzählungen unserer Vergangenheit, indem ich Livius und selbst Tacitus lese. Meine größte Befürchtung ist, daß die Religion wieder zunimmt, die unsere Väter so mutig und glücklich zähmen konnten; wieviel Unglück hat sie schon angerichtet (»quantum potuit suadere malorum«), aber die Menschheit ist offenbar unbelehrbar. Vale.
Glaube, Liebe, Hoffnung, diese

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