Warum aendert sich alles
dann einen groÃen Lastwagen mit Anhänger zu mieten. Ich schrieb Ihnen schon, daà die ganze Sache nicht publik werden darf. Die Lehrer- und Schülerbibliothek gibt es seit 1848, und wenn der Verkauf in die Presse gerät, werden sich alle Ortsvereine empören, vielleicht greifen dann sogar überregionale Zeitungen den Fall auf und schreiben von einem Skandal. Niemand will die Wahrheit wissen: Die Bibliothek wird seit Jahren von niemandem mehr benutzt. Der Altbestand, etwa die Erstauflagen von Fontane und von Heine und von Marx, ist in Fraktur geschrieben, und die ist uns allen verschlossen: Wer kann diese Schrift noch entziffern? Der heutige Lehrer hat auch nicht mehr die Möglichkeit, die Werke ganz zu lesen, sondern kauft sich eine moderne Auswahl, die er durch Farbmarkierungen noch einmal reduziert. Durch den bitte geheim zu haltenden Verkauf der Bibliothek gewinnen wir Platz für einen Kommunikationsraum der Lehrenden, und nach den Ferien wird niemand nachforschen wollen, wo denn die Bibliothek geblieben ist. Diesen Brief bitte ich vertraulich zu behandeln.
Mit freundlichen GrüÃen, O. G.
DPA: Gladiatorenspiele
Die DPA meldet, daà die Stadt Las Vegas im kommenden Monat Gladiatorenspiele in altrömischer Art einführen wird. Die Mehrheit der Bevölkerung hat für diese sogenannten Imperial Games votiert, eine Klage von Mormonen beim Bundesgerichtshof wurde kostenpflichtig abgewiesen; Feministinnen konnten sich nicht einigen, ob sie gegen das ganze Unternehmen oder für eine Beteiligung von Gladiatorinnen kämpfen sollten. Der Gouverneur will männliche, vornehmlich farbige Häftlinge aus den überfüllten Zellen (2,3 Millionen Insassen insgesamt) für die Kämpfe freigeben, jedoch unter der Bedingung, daà sie länger als fünfzehn Jahre auf die Vollstreckung ihres Todesurteils warten, daà sie nach ärztlichem Attest gesund sind und daà sie, hierauf legte er besonderen Wert, schriftlich in Anwesenheit eines Anwalts ihr Einverständnis erklärt haben. Alles basiere absolut auf Freiheit und Demokratie (»liberty and democracy«); niemand werde zur Teilnahme gezwungen. Um den geschichtlichen Charakter der Spiele genau zu wahren, wurde ein römischer Historiker mit einem Millionenvertrag eingeflogen. In den maÃgetreuen Steinanlagen des Las-Vegas-Kolosseums sollen besonders die Altersspuren der römischen Bauten genau reproduziert werden. Die Regie der Spiele liegt beim Fernsehsender. In einem Nebenvertrag wird geregelt, daà die Organe der getöteten Gladiatoren den Patienten der Kliniken von Las Vegas gespendet werden; der bekannte deutsche Pathologe Gunther von Hagens sicherte sich jedoch für 500.000 Dollar die Rechte, die Leichen besonders muskulöser Kämpfer öffentlich zu zeigen. Der Kommentar der meisten: »Für alle nützlich, so what?« Die Medien heben hervor, wie vorurteilslos und unbefangen besonders Kinder und Jugendliche die Spiele begrüÃen; auch deutsche Besucher loben die Offenheit der Amerikaner, besonders der Jugendlichen, für Innovationen. Der bekannte Historiker der privaten Fernsehuniversität, Henry Smith, zeigt in seinen vielen Sonderbeiträgen, daà alle Menschen auf dem Weg nach »Nekropolis« seien(er sagt allerdings konstant »negropóolis«) und es nun darauf ankomme, die Geschichte, auch die römische, lebendig zu halten. Schon Nietzsche habe gesehen, daà das alte Europa keinen Kampfwillen mehr zeige; so müsse Amerika die starken Traditionen übernehmen und neu beleben. Ãberraschend lebhaft ist die finanzielle Unterstützung durch die Industrie; es wurde darauf hingewiesen, daà die Gladiatorenspiele Ãngste bei den Zuschauern aktivieren und verstärken würden, die anonyme Angst aber sei ein klarer Produktionsfaktor geworden, man denke etwa an die Schutzanlagen von Wohnsiedlungen und die Hochrüstung der Bürger mit Handfeuerwaffen. Ohne die Angst müÃten weite Teile der Produktion kollabieren; daher rechne man mit einer landesweiten Ausdehnung der Gladiatorenspiele und knüpfe schon Kontakt mit den Behörden anderer Staaten. Anthropologen rechnen mit einem heilsamen Anwachsen der Sekten; sie verweisen auf den tiefen Zusammenhang von Schrecken und Gehorsam, von Opferblut und Glauben. Die ovale Form der Arena zieht Menschenmassen an; sie wird in ethnologischen Arbeiten als Schoà von Geburt und Tod gedeutet. Die meisten jedoch
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