Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Verfügung zu stehen.
Kurze Zeit später erlitt sie einen Zusammenbruch.
In dem 2010 erschienenen Buch „Brief an mein Leben“ beschreibt sie den Moment, der bei ihr den Burnout auslöste. Es war kein besonderes Erlebnis, sondern eine ganz alltägliche Szene: Sie saß mit ihrer Lebensgefährtin Anne Will im Hotelzimmer und packte ihren Koffer für die nächsten Tage. Der Terminkalender war wie immer prall gefüllt. Also Outfit für den Vortrag auf einer Konferenz, für eine Party am Abend und für den Sport – jetzt nur nichts vergessen! Gleichzeitig ließ sie ihren Rechner hochfahren. Sie sah die Flut von E-Mails, die da auf Beantwortung und Bearbeitung warteten. Und da passierte es: Ihr Körper zog die Notbremse. Sie klappte zusammen. Nichts ging mehr.
Ich kenne Frau Meckel nicht persönlich, doch aufgrund meiner Erfahrung mit Burnout-gefährdeten Menschen interpretiere ich ihre Geschichte so: Der hochintelligenten und viel beschäftigten Frau ist es sicherlich immer wieder einmal gelungen, ihre eigenen Ratschläge zu befolgen und das Handy auch auszuschalten. Doch der Anspruch, alle Erwartungen zu erfüllen, war geblieben. So lief sie in dem hohen Tempo, das ihr der Medienzirkus vorgab. Frau Meckel hatte es nicht geschafft, ausreichend viele der zahlreichen Anfragen abzulehnen.
Ist es nicht erstaunlich, dass jemand, der rational erkannt hat, dass jeder Mensch dringend seine Freiräume braucht und dem die Mechanismen vollkommen klar sind, trotzdem nicht in der Lage ist, sich zu schützen? Das Wissen darum, dass man Nein sagen muss, reicht offenbar nicht. Auch auf diesem Feld ist es möglich, die Theorie zu beherrschen und trotzdem in der Praxis das Falsche zu tun. Was ist nur so schwierig daran, Nein zu sagen?
„Wenn ich zaubern könnte, möchte ich Nein sagen können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben“ – das höre ich in Seminaren und Gesprächen immer wieder. Bei Burnout-gefährdeten Menschen kommt es zu einer Güterabwägung. Und das Ergebnis lautet in der Regel: „Wegen der notwendigen Überstunden keinen Feierabend zu haben ist besser als ein schlechtes Gewissen, weil ich Nein gesagt habe.“
Wenn sie Nein sagen, bleiben sie hinter ihren hohen Ansprüchen zurück. Und wenn ihre Ziele und Werte demzufolge nicht eingehalten werden, bekommen sie ein schlechtes Gewissen. Ihre Identität scheint damit verknüpft zu sein, Ja zu sagen. Womit sie sich unaufhaltsam von der eigenen Mitte entfernen.
Ich kenne einen Mann, der mit seinen knapp zwei Metern Körpergröße, breiten Schultern und athletischem Körperbau bei jedem einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sein kräftiger Händedruck und seine feste Stimme vermitteln Stärke. Dieser Hüne, der in seinem Unternehmen eine führende Managerposition bekleidet und der für mehrere hundert Mitarbeiter verantwortlich ist, wird regelmäßig von einer ganz winzigen Person ausgespielt: seiner kleinen Tochter, die ihn mit ihrem deutlichen Nein völlig aus dem Konzept bringen kann. Er beneidet die Zweijährige um ihre Fähigkeit, den Wünschen und Vorgaben anderer eine klare Absage zu erteilen.
„Bitte zieh jetzt deinen Schlafanzug an.“ – „Nein.“
„Lass uns jetzt weiter zu den Ziegen gehen.“ – „Nein.“
„Gibst du mir eines deiner Gummibärchen ab?“ – „Nein.“
Er selbst schafft das nicht. Ich frage mich: Warum haben erwachsene Menschen das selbstverständliche Nein des Kindes nicht mehr? Und warum können sie nicht mit dem Nein umgehen?
Das Neinsagen lernt man in den intensiven Zeiten der Ich-Bildung, also in der Kleinkind-Phase sowie in der Pubertät. In diesen Phasen ist die Persönlichkeit noch in der Lage, klare Grenzen zu ziehen. Wenn sich das Kind in der Trotzphase befindet, leitet das Nein die Loslösung von den Eltern ein. Gerade dann, wenn das Nein zum Lebensprogramm wird, strahlt das Kind eine intensive Lust am Ich aus. Das geschieht in dem tiefen Bewusstsein des kleinen Menschen, nicht aus der Gemeinschaft herausfallen zu können. Es weiß: Das Nein wird die Eltern nicht vertreiben, sie werden es nicht zurücklassen – auch wenn sie das nach einem Wutanfall des Zöglings im Supermarkt schon einmal ankündigen. Das Kind weiß unbewusst: „Ich bin nicht verloren, die Gemeinschaft trägt mich und respektiert meinen Widerstand.“
In der Pubertät zieht das Nein die Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenenleben. In dieser Lebensphase geht es in Richtung Rebellion, und die Reaktion der Umwelt ist nicht mehr durch die
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