Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
durchs Wohnzimmer tigerte und die Uhr mittlerweile 3:30 Uhr anzeigte, wurde ihm klar, dass alle theoretische Vorbereitung nichts nutzt, wenn die Realität dann eintritt. So schlimm und kräftezehrend hätte er sich das nicht vorgestellt! Seit einer Stunde versuchte er, die Kleine immer wieder hinzulegen, doch sobald ihr Köpfchen das Kissen berührte, begann sie wieder zu weinen. Seine Frau hatte beim Abendbrot so müde und geschafft ausgesehen, dass er sie jetzt nicht wecken wollte.
Nach und nach kam zu seiner Müdigkeit eine gehörige Portion Genervtheit hinzu. Seine Gedanken schweiften ab zu der wichtigen Sitzung, die ihm an diesem Tag im Unternehmen bevorstand. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass seine Frau doch auch tagsüber immer mal wieder eine Ruhepause einlegen könnte und nicht wie er den ganzen Tag voll leistungsfähig im Büro sein musste. Er hasste sich dafür, weil er es eigentlich besser wusste – und das Paar diese Aspekte der Familiengründung auch ausgiebig besprochen hatte. Dennoch geriet mit jeder Runde durchs Wohnzimmer sein guter Vorsatz mehr ins Wanken, sich nicht auszuklinken und seinen vollen Einsatz bei Frau und Kind zu bringen. Nach weiteren zehn Minuten gab er auf und kehrte ins Schlafzimmer zurück, um die Mutter der Kleinen um Unterstützung zu bitten. Doch kaum lag das Kind an deren Brust, wurde es ruhig und schlief nach wenigen Minuten ein. Der Mann hingegen lag frustriert wach, obwohl er todmüde war.
Dieser Mann macht eigentlich alles richtig – oder besser gesagt: Er versucht, alles zu machen, was von ihm als modernem Mann und Vater erwartet wird. Er macht angemessen Karriere, kleidet sich geschmackvoll und bemüht sich um regelmäßige Sporteinheiten, um fit zu bleiben. Dazu soll er sich rührend um das Kind kümmern und sofort wissen, warum die Tochter weint. Im Idealfall tauscht er sich mit anderen Eltern über die Entwicklung der Kinder aus und ist darüber hinaus natürlich auch ein fürsorglicher Partner und leidenschaftlicher Liebhaber, jedenfalls immer dann, wenn seine Frau gerade Lust hat, was seit der Geburt eher selten geworden ist.
In Zeitschriften und Büchern werden den Vätern wunderbare Ratschläge gegeben – die Kapitel heißen „Wickeln wie ein Weltmeister“, „24 Stunden Aufmerksamkeit“, „Schlaflieder singen“ oder: „Babymassage“. Den Männern wird erklärt, wie sie das Kind zu halten haben. All das kann er lernen; im Bereich der Handhabbarkeit, Wartung und Pflege des Babys entstehen also keine Probleme. Aber wenn er die Tätigkeiten ausfüllt, die Fürsorge und Behutsamkeit erfordern – wer ist er dann als Mann? Als jemand, für den die Spiele mit der Macht, messbarer Erfolg und Wagemut so wichtig sind?
Von den Männern verlangen die neuen gesellschaftlichen Klischees, was sie gar nicht ausfüllen können, weil sie es nicht, wie die Frauen, schon mit der Muttermilch aufgesogen haben. Und wenn sie dann bemerken, dass sie den innigen Kontakt zum Baby beim besten Willen nicht so hergestellt bekommen wie die Mutter, reagieren sie mit Enttäuschung – und ziehen sich zurück.
Ein Mann, der erkennt, dass er zu Hause keinen Erfolg hat, für den ist der Weg zurück ins Büro mitunter der einzige Weg zur Anerkennung. Er möchte sich ja zu Hause einbringen, aber es fehlen ihm die Mittel. Er braucht wie jeder Mensch Anerkennung und Zugehörigkeit, um Sinn zu erfahren. Ansonsten gerät er in emotionalen Stress.
Das Traurige an der Situation der jungen Väter ist aus meiner Sicht, dass keiner danach fragt, was das alles mit ihnen macht. Zu Hause kein Gewinner sein zu können – das ist frustrierend für jemanden, der gelernt hat, sich im Wettbewerb zu behaupten.
Die Gleichberechtigung der Frau bietet den Männern keine Lösung an. Sie spüren den Druck von außen: Wenn sie versuchen, ein klares Männerbild zu finden, erfahren sie harte Kritik. Es werden Macho-Vorwürfe laut, ihnen werden Unsensibilität und Härte vorgeworfen. Das Zuhause wird für den Mann so zu einem unsicheren Feld, dem er sich nach und nach entzieht. Und das war nicht Teil der Abmachung. Die nun wieder doppelt belasteten, frustrierten Frauen ziehen sich daraufhin ihrerseits zurück und reduzieren Fürsorge für den Partner und Aufmerksamkeit. Das Gespräch zwischen den Geschlechtern versandet.
Den Männern wird oft Kommunikationsunfähigkeit oder -unwille unterstellt. Viele Frauen klagen, die Männer seien zu häufig zu schweigsam. Doch in den Männergruppen mache ich eine
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