Warum es die Welt nicht gibt
haben wir den Satz
Es gibt Hexen, und es gibt keine Hexen.
Man sieht allerdings sofort, dass hier kein echter Widerspruch vorliegt. Denn wir haben nicht gesagt, dass es Hexen einfach so gibt oder dass es einfach so keine Hexen gibt. Es ist jeweils eine Frage des Kontextes: Wenn wir bestreiten, dass etwas existiert, bestreiten wir immer, dass es in einem bestimmten Sinnfeld erscheint. Und ohne einen Widerspruch zu riskieren, können wir im selben Atemzug behaupten, dass es in einem anderen Sinnfeld erscheint. Es gibt also Hexen, aber eben nicht in dem Sinne, in dem die spanische Inquisition dies meinte. Wenn ich sage, dass es keinen McDonald’s in meinem Stadtteil gibt, habe ich ja nicht behauptet, dass es einfach so oder überhaupt keinen McDonald’s gibt. Dies gilt im Allgemeinen: Existenzaussagen, seien sie positiv oder negativ, beziehen sich immer nur auf ein Sinnfeld oder einige Sinnfelder, niemals aber auf alle und am allerwenigsten auf ein allumfassendes Sinnfeld. Gerade weil es kein allumfassendes Sinnfeld gibt, bedeutet dies, dass Existenz immer relativ ist, nämlich relativ auf ein oder mehrere Sinnfelder.
Hier könnte der eine oder andere Leser einen Einwand erheben wollen: Kontrastiert Existenz denn nicht mit Halluzination, Irrtum und bloßer Einbildung? Wenn wir sagen, dass es Maulwürfe gibt, sagen wir dann nicht, dass Maulwürfe nicht bloß eingebildet sind, dass sie wirklich existieren? Oder wenn es um Außerirdische geht: Wir wollen doch nicht wissen, ob es Außerirdische in unserer Einbildung gibt, sondern ob sie irgendwo da draußen wirklich existieren.
Dieser Einwand unterscheidet fälschlich zwischen Existenz und Einbildung . Denn auch Einbildungen existieren, und vieles existiert nur in Einbildungen. Die Zusätze »existiert nur in« sowie »existiert wirklich« , heben die Relativität nicht auf. Dies sieht man etwa an einer Diskussion zwischen zwei Faust -Interpreten. Der eine sagt, es gebe keine Hexen in Faust . Faust halluziniere die Hexen nur. Der andere wendet ein, dass es die Hexen in Faust wirklich gibt, dass sich Faust diese nicht einbildet, sondern dass sie in der Welt des Dramas real sind. Die Unterscheidung zwischen »wirklich« und »bloß eingebildet« betrifft also auch Sinnfelder wie die Welt eines Dramas, die ohnehin »bloß eingebildet« sind. Auch im »bloß Eingebildeten« gibt es also den Kontrast von »Wirklichem« und »bloß Eingebildetem«.
Existenz ist deswegen auch nicht primär damit verbunden, dass etwas im Universum vorkommt oder ein physischer, materieller Gegenstand ist. Sonst könnte man nicht die Frage diskutieren, welche fiktiven Figuren innerhalb einer Romanwelt wirklich existieren und welche nicht. Existenz ist immer Existenz in einem spezifischen Sinnfeld. Die Frage ist immer, um welches Sinnfeld es geht, und darin täuschen wir uns häufig. Hexenverfolgende Institutionen haben ihre Einbildungen mit Frauen verwechselt, die sich in Europa aufhalten. Doch keine Frau, die sich je in Europa oder sonst wo aufgehalten hat, war eine (magiebegabte) Hexe. Hexen existierten demnach immer nur in der Einbildung ihrer Verfolger. Doch sie existierten niemals auf der Erde. Im Sinnfeld »Erde« erscheinen keine Hexen, im Sinnfeld »Vorstellungen frühneuzeitlicher Hexenjäger« schon. Also ist es eine völlig legitime Behauptung, dass es in einigen frühneuzeitlichen Vorstellungen Hexen gab oder dass es Hexen in Faust gibt.
Außenwelt und Innenwelt
Leider hinken viele Philosophen den Fortschritten der modernen Philosophie seit Kant hinterher. Sie meinen deswegen immer noch wie einige materialistische Philosophen der Frühen Neuzeit, es gebe eine sogenannte »Außenwelt«, die auf unsere Sinnesorgane einwirkt, und daneben auch noch unsere Vorstellungen von dieser »Außenwelt«. Während die Außenwelt eben existiere, seien unsere Vorstellungen wahr oder falsch, die Außenwelt sei weder wahr noch falsch, sondern einfach da. Dabei ist es schlichtweg falsch, dass es eine Außenwelt und daneben die Vorstellungen gibt, die wir uns von ihr machen. Denn dies setzt ein ontologisch falsches, sogenanntes wissenschaftliches Weltbild voraus.
Der erste Irrtum besteht schon darin, die Wissenschaft mit einem Weltbild in Verbindung zu bringen. Dies ist übrigens keine Philosophen-Weisheit. Mir und vielen anderen Erwachsenen meiner Generation ist sie bereits durch die Muppet Show bekannt, die – wie so manches Kinderbuch und viele Kinder – sehr viel weiser ist als viele Anhänger
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