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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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von Sinnfeldern ist. Damit es überhaupt mehrere Sinnfelder geben kann, müssen sie voneinander unterschieden sein. Was Sinnfelder jeweils voneinander unterscheidet, ist ihr Sinn, den wir kennen müssen, wenn wir wissen wollen, in welchem Sinnfeld wir uns befinden. Der ontologische Begriff des Sinnfeldes erklärt uns nur, dass es viele Sinnfelder geben muss und dass sie sich voneinander unterscheiden. Er sagt uns aber nicht konkret, welche Sinnfelder es gibt und wie sie beschaffen sind. Dazu brauchen wir neben der Ontologie die anderen Wissenschaften, Erfahrung, unsere Sinne, Sprache, Denken, in einem Wort: die gesamte Wirklichkeit des menschlichen Erkennens. Die Ontologie zeigt uns nur, dass die Wirklichkeit nicht aus letztlich ununterschiedenen Sinnfeldern bestehen kann, die überall völlig gleich sind. Aber welche Sinnfelder es jeweils gibt, die Auflistung konkreter Sinnfelder, ist keine Leistung der Ontologie, sondern der empirischen Wissenschaften.
    Wir können uns dabei täuschen. Denn wir können uns versehentlich im falschen Sinnfeld verorten. In diesem Sinn täuscht man sich etwa, wenn man meint, dass es in Norwegen Trolle gibt. Denn Trolle mag es zwar in der nordischen Mythologie geben (die es wiederum auch in Norwegen gibt). Aber damit gibt es noch lange keine Trolle in Norwegen. Denn was zum Sinnfeld »Norwegen« gehört, kommt in gewissen Staatsgrenzen vor oder hat die Staatszugehörigkeit. Trolle befinden sich aber weder auf dem Landstrich, den wir »Norwegen« nennen, noch sind sie norwegische Staatsbürger. Also gibt es keine Trolle in Norwegen, sondern nur in der nordischen Mythologie.
    Vor diesem Hintergrund können wir ein großes Rätsel der Philosophiegeschichte lösen. Dieses Rätsel ergibt sich aus der Frage, wie negative Existenzaussagen zu verstehen sind. Negative Existenzaussagen sind Sätze, die von etwas sagen, dass es nicht existiert. Diese Sätze bereiten den Philosophen seit vielen Jahrhunderten Kopfzerbrechen. Der Grund dafür liegt darin, dass wir scheinbar voraussetzen, dass etwas existiert, wenn wir ihm eine Eigenschaft zusprechen. Wenn ich sage, dass Judith Kopfschmerzen hat, setze ich sowohl voraus, dass es Judith, als auch, dass es Kopfschmerzen gibt. Sonst könnte Judith ja keine Kopfschmerzen haben. Wenn dies allgemein für Aussagen gilt, dann gilt dies auch für negative Aussagen. Wenn wir behaupten, dass Judith kein Auto besitzt, dann unterstellen wir, dass es sowohl Judith als auch Autos gibt, nur dass sich derzeit kein Auto in Judiths Besitz befindet. Doch wie, wenn wir behaupten, dass Judith nicht existiert? Unterstellen wir dann, dass es Judith und existierende Gegenstände gibt, nur dass Judith nicht zu den existierenden Gegenständen gehört? Wenn Judith die Eigenschaft hat, nicht zu existieren, muss sie dann nicht existieren? Schließlich kann etwas, das nicht existiert, keine Eigenschaften haben. Judith hat aber scheinbar die Eigenschaft, nicht zu existieren, also muss sie existieren, was auf den Widerspruch hinausläuft, dass Judith existieren muss, wenn sie nicht existiert.
    Manchmal wird dieses Problem auch damit in Verbindung gebracht, dass wir vom Nichts nichts aussagen können. Wenn wir vom Nichts etwas aussagen, setzen wir scheinbar sowohl voraus, dass es existiert, als auch, dass es etwas Bestimmtes, eben das Nichts, ist. Damit hätten wir das Nichts aber verfehlt, denn es ist weder irgendetwas Bestimmtes, noch existiert es. Das Nichts scheint allenfalls dasjenige zu sein, das wir »erfassen«, wenn wir nicht denken, was natürlich bedeutet, dass wir es gedanklich nicht erfassen können. Doch damit haben wir schon wieder einiges über das Nichts ausgesagt, so dass sich die Frage stellt, ob es nicht doch etwas ist.
    Diese Probleme stellen sich aber leicht als Scheinprobleme heraus. Wir müssen negative Existenzaussagen und letztlich auch das Nichts einfach auf ganz andere Weise verstehen.
    Was behaupten wir also, wenn wir sagen, dass es irgendetwas nicht gibt? Wenn wir beispielsweise behaupten, dass es keine Hexen gibt, was meinen wir dann eigentlich? Schauen wir genau hin und formulieren eine wahre negative Existenzaussage:
    Es gibt keine Hexen.
    Dagegen könnte nun jemand einwenden, dass es sehr wohl Hexen gibt, beispielsweise in Goethes Faust , in Blair Witch Project , in den verwirrten Köpfen der spanischen Inquisitoren und im Kölner Karneval. Der Satz
    Es gibt Hexen.
    ist also ebenso wahr. Jetzt haben wir aber einen unangenehmen Widerspruch. Denn jetzt

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