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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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widersprüchliche Prinzipien und einige Regeln, an denen nicht gerüttelt wird. Manchmal hört man sein Kind aufmerksam an. Und manchmal stellt man es einfach auf die Waage. Es geht darum, Grenzen zu ziehen, und gleichzeitig soll man das Kind beobachten, Komplizenschaft herstellen und dann situationsgerecht reagieren.
    Den französischen Eltern ist das mehr oder weniger in Fleisch und Blut übergegangen. Aber noch frage ich mich, ob ich diesen Balanceakt jemals automatisch beherrschen werde. Es fühlt sich an, als wollte ich noch mit dreißig Salsa tanzen lernen, anstatt es schon als Kind mit dem eigenen Vater geübt zu haben: Ich zähle nach wie vor die Schritte und bewege mich hauptsächlich auf Zehenspitzen fort.
    In einigen amerikanischen Haushalten ist es nicht weiter ungewöhnlich, dass Kinder während der Mahlzeiten auf ihre Zimmer geschickt werden. In Frankreich werden sie regelmäßig daran erinnert, wie man sich richtig benimmt, aber bestraft wird nur selten.
    Und wenn, dann schicken die Eltern das Kind ebenfalls auf sein Zimmer oder in eine Ecke. In seltenen Fällen schlagen sie es. Ich habe in der Öffentlichkeit nur wenige Male miterlebt, dass Kinder geschlagen wurden, obwohl Pariser Freunde sagen, sie erlebten das öfter. Bei der Aufführung von Goldilocks and the Three Bears fragt die Schauspielerin, die den Mama-Bär spielt, das Publikum, was mit dem kleinen Bären passieren solle, der sich danebenbenommen hat.
    »La fessée !« (»Eine Tracht Prügel!«), rufen die kleinen Kinder im Chor. Bei einer landesweiten Umfrage 58 gaben 19 Prozent der französischen Eltern an, ihre Kinder »hin und wieder« zu schlagen, 46 Prozent sagten »selten« und zwei Prozent »oft«. Weitere 33 Prozent gaben an, ihre Kinder niemals zu schlagen. 59
    In der Vergangenheit hat la fessée vermutlich eine größere Rolle gespielt, wenn es darum ging, die elterliche Autorität durchzusetzen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Sämtliche französischen Erziehungsexperten, mit denen ich mich befasse, sind strikt dagegen. 60 Statt das Kind zu schlagen, empfehlen sie den Eltern zu lernen, Nein zu sagen. Wie Marcelli finden sie, dieses »Nein« sollte nur spärlich eingesetzt werden. Wurde es jedoch einmal ausgesprochen, ist es auch endgültig.
    Diese Idee ist nicht neu. Sie stammt von Rousseau. »Alle eure Verweigerungen müssen jedoch unwiderruflich sein«, schreibt er in Emile . »Keine unausgesetzte Bestürmung mit derselben Bitte darf euch schwankend machen; das einmal ausgesprochene Nein muss dem Kind als eine eherne Mauer gelten, welche es, hat es dagegen seine Kräfte erst fünf- oder sechsmal erschöpft, nicht mehr niederzureißen versuchen wird. Auf diese Weise werdet ihr es geduldig, sanft, gelassen und ruhig machen, selbst wenn es seinen Wunsch nicht erfüllt sieht.«
    Leo kam nicht nur mit dem Schnell-schnell-Gen zur Welt, sondern auch mit einer sehr subversiven Veranlagung.
    »Ich will Wasser!«, verkündet er eines Abends beim Essen.
    »Wie heißt das Zauberwort?«, frage ich freundlich.
    »Wasser!«, sagt er grinsend.
    Ein cadre für die Kinder zu installieren ist mit viel Arbeit verbunden. In den ersten Jahren erfordert es unzählige Wiederholungen und höchste Aufmerksamkeit. Ist er jedoch erst einmal etabliert, macht er das Leben deutlich leichter und entspannter (zumindest hoffe ich das). In Momenten absoluter Verzweiflung sage ich zu meinen Kindern auf Französisch: »C’est moi qui décide!« (»Ich bestimme!«) Allein das auszusprechen ist seltsam tröstlich. Ich mache einen ganz geraden Rücken, wenn ich das sage.
    Die französische Methode erfordert jedoch auch einen Paradigmenwechsel im Denken. Ich bin daran gewöhnt, dass sich immer alles um die Kinder dreht. »Französischer« werden bedeutet, den Schwerpunkt zu verlagern, sodass meine eigenen Bedürfnisse auch zu ihrem Recht kommen.
    Habe ich das Gefühl, zumindest ansatzweise die Kontrolle zu haben, wird es plötzlich machbarer, drei Kinder zu haben. Als Simon an einem Frühlingswochenende unterwegs ist, erlaube ich den Kindern, Teppiche und Decken auf den Balkon zu schleppen und dort eine Art marokkanische Lounge zu bauen. Ich bringe ihnen heiße Schokolade, und sie setzen sich und nippen daran.
    Als ich Simon später davon erzähle, fragt er sofort, »War das nicht stressig?« Wenige Wochen zuvor wäre es das bestimmt gewesen. Dann hätte ich mich von den Kindern überrannt gefühlt oder hätte mir zu viele Sorgen gemacht, um es zu genießen. Es

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