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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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daran gewöhne, die Gabel in der Linken zu halten und durch Fremde hindurchzuschauen, mag ja noch angehen. Aber soll ich meine Tochter schon von frühester Kindheit an wirklich einer solch potenziell schädlichen Erfahrung aussetzen? Passen wir uns ein bisschen zu sehr an die hiesigen Sitten und Gebräuche an? Bean kann foie gras kosten, aber sollte sie auch die crêche ausprobieren?
    Ich versuche, mich mit Hilfe von Büchern über diese Form der Tagesbetreuung mit dem komischen Namen schlauzumachen. Warum heißt sie überhaupt crêche ? Ich dachte das heißt Weihnachtskrippe?
    Wie sich herausstellt, begann die Geschichte der französischen crêche in den 1840er-Jahren: Jean-Baptiste-Firmin Marbeau, ein ehrgeiziger junger Anwalt auf der Suche nach einem guten Zweck, dem er sich verschreiben wollte, war stellvertretender Bürgermeister des ersten Bezirks von Paris. Die industrielle Revolution war gerade voll im Gange, und in Städten wie Paris wimmelte es nur so von Frauen, die aus der Provinz kamen, um als Näherinnen in den Fabriken zu arbeiten. Marbeau bekam die Anweisung, einen Bericht über die salles d’asile , die kostenlosen Kindergärten für Kinder im Alter von zwei bis sechs, zu schreiben.
    Er war beeindruckt und schrieb: »Wie sorgfältig sich die Gesellschaft um die Kinder der Armen kümmert!«
    Gleichzeitig fragte sich Marbeau, wer sich eigentlich bis zum zweiten Lebensjahr um die Kinder der Armen kümmert, wenn ihre Mütter arbeiten. Er warf einen Blick auf die Liste mit Armen seines Viertels und brach auf, um verschiedene Mütter zu besuchen. »Im hintersten Winkel eines schmutzigen Hofes rufe ich nach Madame Gérard, einer Wäscherin. Sie kommt herunter, möchte nicht, dass ich ihre Wohnung betrete, die laut eigenem Bekunden zu schmutzig sei, um vorzeigbar zu sein . Sie hat ein Neugeborenes auf dem Arm und ein anderthalb Jahre altes Kind an der Hand.«
    Marbeau erfuhr, dass Madame Gérard ihre Kinder bei einer Kinderfrau zurücklässt, wenn sie Wäsche waschen geht. Das kostete sie siebzig Centimes am Tag, etwa ein Drittel ihres Tageslohns. Und die Kinderfrau war eine ebenso arme Frau, die während Marbeaus Besuch »die Stellung hielt und auf die drei kleinen Kinder auf dem Fußboden eines schäbigen Zimmers aufpasste.«
    Für die damaligen Standards war das keine schlechte Kinderbetreuung. Einige Mütter schlossen ihre kleinen Kinder einfach allein in der Wohnung ein oder banden sie tagsüber am Bettpfosten fest. Kinder, die schon etwas älter waren, mussten nicht selten auf ihre kleinen Geschwister aufpassen, wenn die Mutter arbeitete. Viele Säuglinge befanden sich nach wie vor unter potenziell lebensbedrohlichen Umständen in der Obhut der Ammen.
    Da hatte Marbeau eine Idee: die crêche ! (Der Name sollte die heimelige Krippe aus der Weihnachtsgeschichte heraufbeschwören.) Eine Tagesstätte für die Kinder der Armen, die sie von der Geburt an bis zum Alter von zwei Jahren betreut. Das Geld dafür sollte von wohlhabenden Bürgern gespendet werden, von denen einige auch crêches leiten würden. Marbeau schwebten spartanische, aber blitzsaubere Räumlichkeiten vor, in denen sich sogenannte Kinderschwestern um die Babys kümmern und den Müttern Nachhilfe in Hygiene und Moral geben würden. Ein Angebot, für das diese künftig nur fünfzig Centimes am Tag zahlen müssten. Mütter mit noch nicht abgestillten Säuglingen würden einfach zweimal am Tag zum Stillen vorbeischauen.
    Marbeaus Idee traf mitten ins Schwarze. Schon bald wurde eine Kommission gebildet, um den Plan weiterzuentwickeln, und der Anwalt machte sich auf, potenzielle Spender zu gewinnen. Wie jeder gute Spendensammler appellierte er an ihr Mitgefühl – und an ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen.
    »Diese Kinder sind unsere Mitbürger, eure Brüder und Schwestern. Sie sind arm, unglücklich und schwach: Ihr solltet sie retten!«, schrieb er in einem crêche -Handbuch, das 1845 veröffentlicht wurde. Nicht ohne hinzuzufügen: »Wenn ihr das Leben von 10 000 Kindern retten wollt, solltet ihr euch beeilen: 20 000 zusätzliche Hände sind nicht zu verachten. Sie bedeuten Arbeit, und Arbeit schafft Wohlstand.« Die crêche sollte den Müttern ihre Sorgen nehmen, »damit sie sich guten Gewissens ihrer Arbeit widmen können«.
    In seinem Handbuch ordnet Marbeau an, dass crêches von halb sechs Uhr morgens bis halb neun Uhr abends geöffnet haben, um die typischen Arbeitszeiten von Tagelöhnern abzudecken. Der Alltag der Mütter, den

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