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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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davon überzeugt, dass die Kinder sie verstehen. 27 Auch vom cadre ist viel die Rede. Auf einem Elternabend fasst eine der Erzieherinnen das in die fast schon blumigen Worte: »Alles ist sehr encadré – es bewegt sich in einem festen Rahmen, wie beispielsweise die Bring- und Abholzeiten. Aber innerhalb dieses Rahmens versuchen wir, Flexibilität, Leichtigkeit und Spontaneität zu fördern – auf Seiten der Kinder, aber auch auf Seiten der Betreuer.«
    Bean verbringt einen Großteil des Tages damit, einfach nur herumzurennen und mit allem zu spielen, was ihr gefällt. Ich bin beunruhigt deswegen. Was ist mit der musikalischen Früherziehung und der geführten Aktivität? Bald merke ich, dass diese Freiheit beabsichtigt ist. Wieder steht dafür das französische cadre -Modell Pate: Den Kindern werden zwar klare Grenzen gesetzt, innerhalb derer sie allerdings viele Freiheiten genießen. Außerdem sollen sie lernen, mit Langeweile zurechtzukommen und sich selbst zu beschäftigen. »Wenn ein Kind spielt, formt es sich selbst«, so Sylvie, eine andere von Beans Betreuerinnen.
    Ein Bericht des Pariser Bürgermeisterbüros über crêches betont die Bedeutung des »energischen Entdeckens«, bei dem die Kinder »ihrer Lust am Experimentieren mit allen fünf Sinnen nachgehen, ihre Muskeln benutzen, hinspüren und den Raum erkunden sollen«. Für ältere Kinder gibt es geführte Aktivität, aber niemand wird gezwungen mitzumachen.
    »Wir machen Vorschläge, aber erzwingen nichts«, erklärt eine Betreuerin aus Beans crêche . Es gibt beruhigende Hintergrundmusik, um die Kinder auf ihren Nachmittagsschlaf einzustimmen, ein Stapel Bilderbücher liegt zum Anschauen neben dem Bett. Nach und nach wachen die Kinder zu ihrem goûter , zu ihrem Nachmittagssnack, auf. Die crêche ist eine Art Wellness-Hotel.
    Auf dem Spielplatz gelten bewusst gewisse Regeln: »Spielen die Kinder draußen, mischen wir uns kaum ein«, so Mehrie, eine von Beans Betreuerinnen. »Würden wir uns ständig einmischen, würden die Kinder ganz verrückt.«
    Die crêche bringt den Kindern auch Geduld bei. Ich bekomme mit, wie eine Zweijährige verlangt, dass Mehrie sie auf den Arm nimmt. Aber Mehrie räumt den Tisch ab, an dem die Kinder gerade zu Mittag gegessen haben. »Im Moment bin ich beschäftigt, warte zwei Sekunden«, sagt Mehrie sanft zu dem kleinen Mädchen. Dann erklärt sie an mich gewandt: »Wir versuchen, ihnen das Warten beizubringen, das ist sehr wichtig. Sie können nicht alles sofort haben.«
    Die Betreuer sprechen ruhig und respektvoll mit den Kindern und thematisieren häufig deren Rechte: »Du bist berechtigt, das und das zu tun, aber nicht das.« Sie sagen das in jenem Brustton der Überzeugung, den ich schon häufig bei französischen Eltern wahrgenommen habe. Alle sind sie fest davon überzeugt, dass der cadre unveränderlich sein sollte.
    »Verbote werden konsequent durchgesetzt, und wir nennen den Kindern jedes Mal auch den Grund dafür«, so Sylvie.
    Ich weiß, dass die crêche in manchen Dingen streng ist, weil Bean nach einer Weile zu Hause die Sätze wiederholt, die sie dort gelernt hat. Wir wissen, dass es crêche -Sätze sind, weil Beans Betreuerinnen ihre einzige Quelle für französische Äußerungen sind. Es ist, als hätte Bean die Sätze den ganzen Tag auf Band mitgeschnitten und spiele es uns jetzt vor. Meist wiederholt Bean Befehle wie »On va pas crier!« (»Es wird nicht gebrüllt!«). Meine Lieblingsverse, die ich sofort auch zu Hause anwende, lauten »Couche-toi!« (»Geh schlafen!«) und »Mouche-toi!« (»Putz dir die Nase!«). Letzteres sagt man, während man dem Kind ein Taschentuch vors Gesicht hält.
    Eine Weile spricht Bean nur im Befehlston Französisch oder verkündet, was erlaubt ist und was nicht. Spielt sie zu Hause »Erzieherin«, stellt sie sich auf einen Stuhl, wackelt mit dem Zeigefinger und erteilt imaginären Kindern Befehle, manchmal auch unseren überraschten Gästen.
    Bald kommt Bean nicht nur mit Befehlen, sondern auch mit Liedern nach Hause. Häufig singt sie eines, das wir nur als »Tomola tomola, vatvoi!« kennen und bei dem sie zunehmend lauter wird und die Arme kreisen lässt. Erst später erfahre ich, dass es das beliebteste französische Kinderlied über eine Windmühle ist, die sich zu schnell dreht. In Wahrheit lautet der Text: » Ton moulin, ton moulin va trop vite «.
    Was uns wirklich für die crêche einnimmt, ist das Essen, genauer gesagt die Essenserfahrung. An jedem Montag hängt

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