Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
gewonnen zu haben, den wir gar nicht wirklich verdienen, ja bei dem wir uns nicht einmal sicher sind, ob wir ihn überhaupt wollen.
Ich habe nach wie vor meine Zweifel, als ich Bean zum ersten Mal zur Krippe bringe. Sie befindet sich in einem dreistöckigen Betonklotz am Ende einer Sackgasse, davor gibt es eine kleine Fläche mit Kunstrasen. Die crêche sieht aus wie eine städtische Schule in Amerika, nur im Kleinformat. Einige Kindermöbel kommen mir bekannt vor, sie stammen aus dem IKEA -Katalog. Die crêche ist wirklich nicht fancy , aber farbenfroh und sauber.
Die Kinder werden in Altersgruppen namens klein, mittel und groß eingeteilt. Beans Gruppenraum ist ein sonniges Zimmer mit Spielküchen, winzigen Möbeln und Schränken voller altersgerechter Spielsachen. Daran schließt sich ein verglaster Schlafbereich an, in dem jedes Kind sein eigenes Bettchen hat, samt Schnuller und Stofftier, doudou genannt.
Anne-Marie, die Beans Haupterzieherin sein wird, begrüßt uns. (Es ist dieselbe Frau, die Dietlinds Söhnen die Haare geschnitten hat.) Anne-Marie ist eine sympathische Frau in den Sechzigern mit kurzen blonden Haaren und einer Sammlung bedruckter T-Shirts aus aller Welt, die sie von ihren Zöglingen geschenkt bekommen hat. (Wir bringen ihr irgendwann eines mit, das ihre Liebe zu Brooklyn bekundet.) Das Personal dieser crêche ist im Durchschnitt bereits seit dreizehn Jahren dabei, Anne-Marie sogar schon deutlich länger. Sie und die meisten anderen Erzieher haben eine Ausbildung als auxiliaires de puériculture absolviert, als Hilfskraft für Kinder- und Säuglingspflege.
Ein Kinderarzt und ein Psychologe kommen einmal die Woche vorbei. Die Erzieher verzeichnen Beans tägliche Schläfchen und Häufchen, außerdem erfahre ich, wie sie gegessen hat. Kinder in Beans Alter werden nacheinander gefüttert, wobei das Kind entweder bei jemandem auf dem Schoß oder in einer Babywippe sitzt. Die Kleinen werden Tag für Tag etwa zur selben Zeit schlafen gelegt und sollten dann nicht geweckt werden. In der Eingewöhnungsphase bittet mich Anne-Marie, ein getragenes T-Shirt von mir mitzubringen, damit Bean damit einschlafen kann. Das fühlt sich an, als ginge es um einen Hundewelpen, aber ich komme der Bitte nach.
Ich staune über das Selbstbewusstsein von Anne-Marie und den anderen Erziehern. Sie scheinen sehr genau Bescheid zu wissen, was Kinder der verschiedenen Altersgruppen brauchen, und gehen fest davon aus, dass sie ihnen das auch geben können. Sie machen Mitteilungen, ohne eingebildet zu sein oder ungeduldig zu werden. Mich stört nur, dass Anne-Marie darauf besteht, mich »Beans Mutter« statt Pamela zu nennen: Es sei zu kompliziert, sich die Namen aller Eltern zu merken.
Angesichts unserer Zweifel in Sachen Tagesbetreuung, haben wir uns für einen Kompromiss entschieden und bringen Bean nur vier Tage die Woche von halb zehn bis halb vier in die crêche . Viele ihrer Spielkameraden sind fünf Tage die Woche dort, und das deutlich länger. (Die Krippe ist von halb acht bis achtzehn Uhr geöffnet.)
Die ersten zwei Wochen bilden die Eingewöhnungsphase, in der Bean nach und nach immer länger in der crêche bleibt – mit und ohne uns. Sie weint jedes Mal ein bisschen, wenn ich gehe, aber Anne-Marie versichert mir, dass sie sich beruhigt, sobald ich weg bin. Oft wird sie von einer der Betreuerinnen am Fenster hochgehalten, damit ich ihr zuwinken kann, wenn ich gehe.
Es dauert nicht lange, und Bean ist fröhlich, wenn wir sie in der Tagesbetreuung abgeben und glücklich, wenn wir sie abholen. Als Bean bereits eine Weile in die crêche geht, fällt mir auf, dass dieser Ort ein Mikrokosmos französischer Erziehung ist. Einschließlich ihrer Nachteile. Anne-Marie und die anderen Betreuerinnen staunen, dass ich die neun Monate alte Bean immer noch stille, vor allem, wenn ich das in ihren Räumlichkeiten tue. Sie sind auch nicht gerade begeistert von meinem anfänglichen Plan, vor dem Mittagessen abgepumpte Milch abzugeben, auch wenn sie es mir nicht verbieten.
Aber all die positiven französischen Erziehungsvorstellungen sind ebenfalls spürbar. Da sich hier alle einig sind, wie man die Dinge am besten handhabt, müssen sich französische Eltern keine Sorgen machen, dass die Betreuer einer ganz anderen Erziehungsphilosophie anhängen. Im Großen und Ganzen folgen sie denselben Zeitplänen und Ritualen wie die Eltern.
Zum Beispiel sprechen die Betreuer auch schon mit Babys den lieben langen Tag. Und sind fest
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