Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Gegenmaßnahmen zu ergreifen, als mir in der Pariser Metro eine alte, klapprige Frau ihren Sitzplatz anbietet. Sie denkt, ich bin schwanger.
Nicht alle Französinnen gehen nach der Geburt zum Beckenbodentraining. Aber viele schon. Warum auch nicht? Frankreichs gesetzliche Krankenversicherung übernimmt fast alle Kosten, einschließlich der für den weißen Zauberstab. Der Staat schießt sogar Geld fürs Bauchmuskeltraining zu, allerdings erst, wenn der Bauch der Mutter tiefer als ihr Schambein hängt oder das Liebesleben behindert.
Natürlich sorgt all das Training auch dafür, dass die Mütter wieder schnell durchstarten können. Und was tun Französinnen, sobald ihre Bäuche und Beckenböden wieder einsatzbereit sind?
Einige konzentrieren sich auch ausschließlich auf die Kinder. Aber anders als in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien werden sie von ihrem sozialen Umfeld nicht dazu ermutigt oder dafür belohnt. Den eigenen Kindern das Liebesleben zu opfern gilt als extrem ungesund und unausgewogen. Auch Franzosen wissen, dass ein Baby so einiges verändert, vor allem am Anfang. Die meisten Paare stellen sich darauf ein, dass nach der Geburt eine ziemlich intensive Zeit auf sie wartet, in der sich alles nur ums Baby dreht. Doch anschließend sollten die Eltern wieder zu ihrem Beziehungs-Gleichgewicht zurückfinden.
»In Frankreich geht man davon aus, dass jeder Mensch Lust hat. Sie verschwindet nie für lange. Wenn doch, ist man depressiv und sollte sich behandeln lassen«, erklärt mir Marie-Anne Suizzo, Soziologin an der University of Texas .
Die französischen Mütter aus meinem Bekanntenkreis reden ganz anders über le couple als die amerikanischen. »Bei mir kommt die Beziehung vor den Kindern«, sagt Virginie, die Vollzeitmutter, die mich gelehrt hat, beim Essen »auf mich zu achten«.
Virginie ist eine prinzipientreue, intelligente, engagierte Mutter. Als einzige junge Pariserin aus meinem Bekanntenkreis ist sie bekennende Katholikin. Aber sie hat nicht vor, ihr Liebesleben brachliegen zu lassen, bloß weil sie drei Kinder hat.
»Die Beziehung ist das Wichtigste. Sie ist das Einzige im Leben, wofür wir uns bewusst entscheiden. Die Kinder hat man sich nicht ausgesucht, aber den Mann schon. Und mit ihm baut man sich ein gemeinsames Leben auf. Also will man, dass es funktioniert. Denn wenn die Kinder aus dem Haus sind, möchte man auch noch mit ihm auskommen. Für mich ist das prioritaire .«
Französische Eltern fragen sich nicht, ob sie je wieder ein erfülltes Liebesleben haben werden, sondern wann . »Man kann den Eltern nicht diktieren, wann sie wieder zueinanderfinden sollten«, so der französische Psychologe Jean Epstein. »Wenn es die Umstände erlauben und wenn sie bereit dazu sind, werden die Eltern dem Baby einen Platz einräumen, aber der befindet sich außerhalb der Paarbeziehung.«
Amerikanische Experten erwähnen auch manchmal, dass die Eltern sich Zeit für sich selbst nehmen sollen. In Dr. Spocks Säuglings- und Kinderpflege gibt es zwei Kapitel, die mit »Unnötige Selbstaufopferung « und »Übertriebene Sorge « überschrieben sind. Darin steht, dass junge Eltern von heute dazu neigen, »sämtliche Freiheiten und Hobbys aufzugeben. Nicht, weil das so praktischer ist, sondern aus Prinzip.« Selbst wenn diese Eltern sich manchmal davonschleichen, »haben sie ein viel zu schlechtes Gewissen, um es richtig genießen zu können.« Das Buch drängt Eltern, für gemeinsame quality time zu sorgen, aber erst, nachdem sie »die notwendigen zeitlichen und inhaltlichen Opfer für ihre Kinder gebracht haben«. Für französische Erziehungs- und Beziehungsexperten ist quality time kein nettes Extra, sondern ein unverzichtbarer Teil des täglichen Familienlebens. Sie sprechen auch sehr nüchtern und direkt aus, wie sehr Kinder eine Ehe belasten können: »Nicht umsonst trennt sich eine erhebliche Anzahl Paare in den ersten Jahren oder gar ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes. Alles wird anders«, so ein Artikel.
In den französischen Erziehungsratgebern, die ich lese, ist le couple ein zentrales, wichtiges Thema. Einige französische Eltern-Websites warten manchmal mit genauso vielen Artikeln über le couple wie über die Schwangerschaft auf. »Das Kind sollte nicht das gesamte Leben der Eltern vereinnahmen … Eltern, die sich ein ausgewogenes Familienleben wünschen, benötigen auch Raum für sich«, schreibt Hélène De Leersnyder, die Kinderärztin. »Auch kleine Kinder
Weitere Kostenlose Bücher