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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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Fanny.
    Damit die Stimmung locker bleibt, dauert die Mahlzeit nicht allzu lange. Hat Lucie von allem probiert, darf sie vom Tisch aufstehen. Im Ratgeber Votre Enfant steht, ein Essen mit Kleinkindern solle nicht länger als dreißig Minuten dauern. Mit der Zeit lernen französische Kinder, immer längere Mahlzeiten durchzuhalten. Sind sie alt genug, um später zu Bett zu gehen, nehmen sie auch unter der Woche öfter an den abendlichen Mahlzeiten der Eltern teil.
    Die Abendessensplanung ist eine Lektion in Ausgewogenheit. Ich staune, dass Mütter wie Fanny die Speisenabfolgen im Kopf haben. Sie gehen davon aus, dass ihre Kinder die Hauptproteinmahlzeit schon mittags in der Krippe oder in der Schule eingenommen haben. Abends servieren sie meist Kohlenhydrate wie Nudeln mit Gemüse.
    Fanny mag gerade erst aus dem Büro nach Hause gehetzt sein, aber trotzdem gibt es ein Abendessen in mehreren Gängen. Sie gibt Lucie eine kalte Gemüsevorspeise wie geriebene Möhren mit einer Vinaigrette. Dann kommt das Hauptgericht, meist Nudeln oder Reis mit Gemüse. Manchmal brät sie auch ein Stück Fisch oder Fleisch. »Ich vermeide es nach Möglichkeit, abends Proteine auf den Teller zu bringen, vermutlich weil ich selbst so erzogen wurde. Einmal am Tag reicht, sagt man. Ich konzentriere mich auf Gemüse.«
    Manche Eltern erzählen mir, dass es im Winter oft Suppe zum Abendessen gibt, dazu ein Stück Baguette oder ein paar Nudeln. Das ist eine sättigende Mahlzeit auf Getreide- und Gemüsebasis. Viele Eltern pürieren diese Suppen. Zum Frühstück oder zum goûter trinken die Kinder vielleicht Saft, aber zum Mittag- und Abendessen gibt es Wasser, normalerweise zimmerwarm oder nur leicht gekühlt.
    Familienmahlzeiten sind meist den Wochenenden vorbehalten. Fast alle französischen Familien aus meinem Bekanntenkreis essen sowohl Samstag als auch Sonntag ausgiebig zu Mittag. Die Kinder werden von klein auf ins Kochen und Tischdecken mit einbezogen. »An den Wochenenden backen und kochen wir. Ich habe sogar eigene Kochbücher für Kinder«, erzählt Denise, die Medizinethikerin und Mutter von zwei Mädchen.
    Anschließend versammeln sich alle um den Tisch und essen. Die französischen Soziologen Claude Fischler und Estelle Masson, Autoren des Buches Manger , schreiben, dass ein Franzose, der mittags im Gehen ein Sandwich isst, das nicht einmal als »Essen« mitzählt. »Für Franzosen bedeutet ›essen‹, mit anderen um einen Tisch zu sitzen, sich Zeit zu nehmen und nichts nebenher zu tun, während Amerikaner essen, weil es sein muss.« 56
    Als ich an Beans fünftem Geburtstag verkünde, dass es Zeit zum Kuchenessen ist, strömen die Kinder, die vorher wild gespielt haben, sofort in unser Esszimmer und setzen sich brav an den Tisch. Auf einmal sind sie alle sage . Bean sitzt am Kopfende und reicht Teller, Löffel und Servietten weiter. Bis auf das Anzünden der Kerzen und das Kuchenhereintragen habe ich kaum etwas zu tun. Sich als Fünfjährige ruhig zum Essen an einen Tisch setzen ist für Franzosen ganz selbstverständlich. Dass auf dem Sofa vor dem Fernseher oder vor dem Computer gegessen wird, kommt gar nicht infrage.
    Ein Vorteil von etwas cadre innerhalb der eigenen vier Wände besteht darin, dass man auch mal vom cadre abweichen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er deshalb gleich zusammenbricht. Denise erzählt mir, dass ihre beiden sieben und neun Jahre alten Töchter einmal die Woche vor dem Fernseher essen dürfen.
    An Wochenenden und während der zahlreichen Schulferien sind französische Eltern lockerer, was die Essens- und Zubettgehzeiten betrifft. Sie vertrauen darauf, dass der cadre wieder funktioniert, wenn sie ihn brauchen. Zeitschriften schreiben darüber, wie man die Kinder nach den Ferien wieder an einen anderen Zeitplan gewöhnt. Als wir mit Hélène und William Urlaub machen, bekomme ich kurz Panik, als es schon halb zwei ist und William noch nicht mit den Zutaten für unser Mittagessen zurück ist.
    Aber Hélène geht davon aus, dass die Kinder sich anpassen können. Sie sind schließlich Menschen wie wir und müssen mit etwas Frust umgehen können. Sie macht eine Tüte Kartoffelchips auf, und die sechs Kinder versammeln sich um den Küchentisch, um sie zu essen. Anschließend stürmen sie wieder hinaus, um zu spielen, bis das Mittagessen fertig ist. Das ist überhaupt kein Problem. Kurz darauf genießen wir gemeinsam ein ausgiebiges, köstliches Mahl an einem Tisch, den wir unter einen Baum gestellt

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