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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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haben.
    Der Ehrgeiz mancher amerikanischer Eltern betrifft nicht nur das Beschleunigen der Entwicklung eines Kindes, sondern auch die Beeinflussung des kindlichen Geschmacks. Dass ich das auch mache, merke ich, als ich die zweijährige Bean auf ihre erste Halloween-Party mitnehme. In Frankreich wird Halloween nicht groß gefeiert. (Ich werde auf eine Halloween-Party für Erwachsene eingeladen, auf der alle Frauen als sexy Hexen verkleidet sind und die meisten Männer als Draculas.) Daher mietet eine Gruppe von angloamerikanischen Eltern jedes Jahr das Obergeschoss eines Starbucks unweit der Bastille und verteilt kleine Trick or Treat -Stationen im Raum.
    Sobald Bean das Prinzip begriffen hat – all diese Leute schenken ihr Süßigkeiten –, beginnt sie, sie zu essen. Sie isst nicht nur ein paar, sondern versucht, sämtliche Süßigkeiten in ihrer Tüte zu essen. Sie sitzt in einer Zimmerecke und stopft sich mit pinkem, gelbem und grünem Zuckerzeug voll. Ich muss sie bremsen.
    In diesem Moment wird mir klar, dass ich den falschen Umgang mit Süßigkeiten gewählt habe. Vor dieser Halloween-Party hat Bean fast keinen Weißzucker bekommen. Meines Wissens nach hat sie noch nie ein einziges Gummibärchen gegessen. Ich habe ganz offensichtlich versucht, so zu tun, als gäbe es gar keine Süßigkeiten.
    Diese entspannte Haltung im Rahmen des cadre legen französische Eltern auch beim Thema Süßigkeiten an den Tag. Ich habe miterlebt, wie sich angloamerikanische Eltern den Kopf darüber zerbrechen, ob sie ihren Kindern Süßigkeiten geben sollen oder nicht. Eines Nachmittags erzählt mir eine Engländerin, dass ihre kleine Tochter keinen Keks haben darf, obwohl alle anderen Kinder einen essen: »Sie muss das nicht kennen«, sagt sie. Eine andere Mutter – eine Psychologin – ist hin- und hergerissen, ob ihr anderthalbjähriges Kind ein Wassereis bekommen darf oder nicht – und das an einem heißen Sommernachmittag, an dem alle unsere Kinder im Freien spielen. (Letztendlich willigt sie ein.) Ich sehe ein Paar, das nervös diskutiert, ob ihr Vierjähriger einen Lutscher haben darf.
    Aber Zucker existiert, und französische Eltern wissen das. Sie versuchen nicht, sämtliche Süßigkeiten aus der Ernährung ihrer Kinder zu verbannen. Stattdessen passen sie Süßigkeiten in den cadre ein. Für ein französisches Kind haben Süßigkeiten ihren festen Platz. Sie sind ein regelmäßiger Bestandteil in ihrem Leben, sodass sie sich nicht darauf zu stürzen brauchen wie ein Verhungernder, sobald sie sie in die Finger bekommen. Meist scheinen die Kinder auf Kindergeburtstagen und Schulfesten Süßigkeiten zu essen oder aber zur Belohnung. Bei diesen Gelegenheiten dürfen sie in der Regel so viel davon essen, wie sie wollen. Als ich versuche, den Bonbon- und Schokoladenkuchenkonsum meiner Söhne auf der Weihnachtsfeier der Krippe einzuschränken, schaltet sich eine der Erzieherinnen ein. Sie sagt, ich solle sie die Feier und ihre Freiheit doch ruhig genießen lassen. Ich muss an meine dünne Freundin Virginie denken, die unter der Woche strikt darauf achtet, was sie isst, aber an den Wochenenden schlemmt, worauf sie Lust hat. Auch Kinder brauchen Momente, in denen die üblichen Regeln nicht gelten.
    Aber die Eltern entscheiden, wann dieser Moment gekommen ist. Als ich Bean zur Geburtstagsfeier von Abigail, einem kleinen Mädchen in unserem Haus, bringe, ist sie die Erste. (Wir haben noch nicht herausgefunden, dass man hier zu Kindergeburtstagen nicht pünktlich erscheinen muss.) Abigails Mutter hat gerade einen Teller mit Plätzchen und Bonbons auf den Tisch gestellt. Abigail fragt, ob sie etwas davon haben darf. Ihre Mutter sagt non und erklärt ihr, dass noch nicht Essenszeit ist. Dass Abigail nur einen sehnsüchtigen Blick auf die Süßigkeiten wirft und dann mit Bean davonsaust, um in einem anderen Zimmer zu spielen, kommt mir wie ein kleines Wunder vor.
    Schokolade ist ebenfalls ein fester Bestandteil im Leben französischer Kinder. Mittelschicht-Franzosen sprechen über Schokolade, als sei das eine eigene Lebensmittelgruppe, wenn auch eine, die man nur in Maßen zu sich nehmen sollte. Als Fanny mir beschreibt, was Lucie an einem ganz normalen Tag isst, enthält der Speiseplan auch ein paar Kekse oder Kuchen. »Und natürlich will sie auch irgendwann Schokolade«, so Fanny.
    Hélène gibt ihren Kindern heiße Schokolade, wenn es draußen kalt ist. Sie serviert sie zum Frühstück mit einem Stück Baguette oder gibt sie ihnen

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