Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?

Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?

Titel: Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
Vom Netzwerk:
Mann schubsen würde, um fünf Gleisarbeiter zu retten, ist eine berühmte Frage der Philosophie. Mehr als 300 000 Menschen haben diese beiden Fragen inzwischen beantwortet. Amerikanische Forscher haben sie als Testfragen ins Internet gestellt. Und sie ließen die Menschen online darüber entscheiden, was sie tun würden. Doch die Forscher befragten nicht nur Internetsurfer. Sie stellten ihre Testfragen in den USA und in China, und sie testeten sogar Nomadenvölker in der Sahara und Inuits am Polarkreis. Sie fragten Kinder und Erwachsene, Atheisten und Gläubige, Frauen und Männer und Menschen aus ganz verschiedenen Berufen. Das überraschende Ergebnis war: Die Antworten waren fast immer gleich – ganz egal, welche Religion, welches Alter, welches Geschlecht, welche Ausbildung und welches Herkunftsland die Menschen hatten.
    Und wie lauteten die Antworten? Nun, meistens nicht anders als bei Oskar.
    Frage 1 : Fast jeder der Befragten würde die Weiche umstellen. Er würde den Tod von einem einzigen Mann in Kauf nehmen, um das Leben von fünf Männern zu retten.
    Frage 2 : Nur jede Sechste würde den dicken Mann von der Brücke schubsen, um das Leben der fünf Männer zu retten. Die große Mehrheit würde es nicht tun.
    Ist das nicht ein seltsames Ergebnis? Ob ich die Weiche umstelle oder den Mann von der Brücke stoße – das Resultat ist doch in beiden Fällen das Gleiche! Ein Mann stirbt, und fünf werden dadurch gerettet. Von der Bilanz der Toten und Überlebenden her gesehen gibt es keinen Unterschied. Und doch scheint es einer zu sein. Aber warum?
    Für Oskar und mich macht es einen großen Unterschied, ob ich – wie bei der Weiche – den Tod eines Menschen in Kauf nehme. Oder ob ich – wie bei dem dicken Mann – einen Menschen direkt anfasse und töte. Natürlich ist es in beiden Fällen ein, wie Oskar sagt, » mieses Gefühl«. Aber dieses miese Gefühl ist im zweiten Fall viel stärker. Wir sind nicht wie Phineas Gage, dem es bestimmt leichtgefallen wäre, den Dicken zu schubsen. Unsere ventromediale Region im Gehirn funktioniert offensichtlich gut. Und die meisten Menschen in der Welt sehen das offensichtlich genauso wie Oskar und ich. Allerdings …
Eine Frage habe ich noch, Oskar.
Hmmm?
Wenn auf dem Nebengleis da unten nicht der eine Gleisarbeiter stehen würde, sondern die Mama oder der Papa. Würdest du dann trotzdem die Weiche umstellen, um die fünf Gleisarbeiter zu retten?
Nein, das würde ich nicht.
Warum nicht, Oskar? Von der Logik ist es doch genau dasselbe, ob es der Papa, die Mama oder irgendein Gleisarbeiter ist. Es ist fünf gegen eins.
Ich würde es nicht machen, weil es die Mama ist. Oder weil du es bist. Ich würde es auch nicht machen bei einem von meinen Freunden.
Ja, ich würde es auch nicht tun, wenn du auf dem Gleis wärst. Niemals!
    Ich glaube, damit haben wir etwas Wichtiges erkannt und eine neue philosophische Einsicht gewonnen:
    Wenn wir moralische Entscheidungen treffen, dann handeln wir sehr oft gar nicht logisch. Vielmehr sind es unsere Gefühle, die unsere Entscheidungen treffen, was wir im Umgang mit anderen Menschen für richtig oder falsch halten.
    Und damit kommen wir zu unserem nächsten Thema. Es gibt also das gefühlte moralische Recht, unter ganz bestimmten Umständen töten zu dürfen, wie etwa bei der Weiche, die wir umstellen, um andere Menschen zu retten. Aber gibt es auch eine moralische Pflicht, töten zu müssen?
    = Darf man Tante Bertha töten?

Vor der Charité

    Darf man Tante Bertha töten?
    Ein Krankenhaus ist eigentlich kein Ort, zu dem man einen Ausflug macht. Außer, es liegt jemand darin, den man besucht. Aber die Charité in Berlin ist schon etwas ganz Besonderes. Hier gibt es zum Beispiel ein medizinhistorisches Museum, in das Oskar und ich allerdings nicht gehen, weil ich befürchten muss, dass er danach schlecht schläft. Missgestaltete Föten und von Krankheiten zerfressene Schädel sind sicher nicht das Richtige für ihn. Etwas anderes Interessantes ist, dass neben dem großen neuen Bettenhaus aus der Zeit der DDR , das man schon von weitem sehen kann, viele kleine Backsteinhäuser stehen. Diese Gebäude sind über hundert Jahre alt und erzählen viel von der Geschichte der Charité. Gegründet wurde das Krankenhaus schon vor 300 Jahren. Damals wütete in halb Europa die Pest. Und König Friedrich I. baute schnell ein Lazaretthaus, weil man befürchten musste, dass es auch in Berlin viele Pestkranke geben würde. Damals lag das Gelände der

Weitere Kostenlose Bücher