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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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stärker gewandelt als seine theoretischen Grundlehren, die ‹Dogmen›, selbst wenn der Wortlaut gleich blieb. Daß der Christ seinen Bruder lieben soll, das bedeutet in der realen geschichtlichen Welt sehr Verschiedenes. Diesen identischen Imperativ haben Erasmus und Luther jeweils anders gelebt und gedacht, wieder ganz anders ein antiker Wüstenvater oder Karl der Große oder Mutter Teresa. Hier ist also davon die Rede, wie Christen dachten, daß sie leben sollen, nicht, wie sie de facto gelebt haben.
    Das heißt nicht, wir könnten über ihre Ethik nichts wissen. Ganz sicher soll der Christ Gott und den Nächsten lieben wie sich selbst. Und wenn der Weltenrichter mit all seinen Engeln in Herrlichkeit wiederkommt, begrüßt er die Geretteten mit folgenden Worten:
Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen;
ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben;
ich war krank, und ihr habt mich besucht.
    Er sagt das zu Helfern, die bei ihrer guten Tat nicht an den Weltenrichter gedacht haben. Sie scheinen in der Religionsstunde nicht aufgepaßt zu haben, denn sie wissen nicht einmal, daß er sich mit den Armen, Schwachen und Kranken identifiziert. Sie fragen zurück:
Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben?
(Matthäus  25,35–37) .
    Jesus identifiziert sich mit den Hilfsbedürftigen. Damit schafft er einen hohen ethischen Anspruch. Zumal der Helfende seine Tat nicht tun soll wegen des Lohns bei Gott. Er fordert, so scheint es, zweckfreie Handlung, edelste Sittlichkeit, fast nach Kant. Allerdings hatte Jahweh schon in altjüdischen Texten erklärt, wer Armen helfe, helfe ihm .
    Diese Wendung darf man nicht zu feierlich nehmen. Sie spielt an auf Botengänge: Wer einen Boten schickt, geht davon aus, daß man ihn hört, wenn man den Boten hört. Man beleidigt ihn , wenn man den Boten beleidigt. So sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer euch hört, hört mich. Seine Identifikation mit den Armen ist keine mystische, sondern folgt dem Spruch: «Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf!» ( Matthäus  10,40).
    Am Jüngsten Tag waltet nicht Gottvater als Gerichtsherr, sondern der Menschensohn. Er setzt sich «auf den Thron seiner Herrlichkeit» und richtet unbarmherzig streng. Er fordert Liebe; dafür verspricht er den Hilfsbereiten das himmlische Reich, zu dem sie seit Ewigkeit bestimmt sind, und droht den Hartherzigen mit der ewigen Höllenstrafe (25,31–46).
    Er identifiziert sich mit den Bedürftigen; als Mensch ist er ihr ‹Bruder›. Gott heißt im Neuen Testament ‹Vater›, nicht «Bruder» des Menschen. Der Text Matthäus  25 kommt dem heutigen Selbstverständnis vieler Christen nahe: Empfiehlt er nicht undogmatisch allgemeine Menschenliebe ohne Lohnerwartung? Die in den Himmel eingehen, wissen nicht, daß sie für den Menschensohn gehandelt haben. Dazu paßt die Mahnung, es komme auf aktive Nächstenliebe an, nicht auf das Hersagen der Hoheitstitel Jesu: «Herr, Herr!» ( Matthäus  7,21–23). Das klingt, als hörten wir die Quintessenz der neutestamentlichen Ethik, die Summe der universalen Liebeslehre, als läsen wir die Urkunde eines undogmatischen und pragmatischen Christentums. Es wird oft so gedeutet. Aber das Bild täuscht: Der Zusammenhang ist die Gerichtsrede. Die «Tag-des-Zornes»-Stimmung durchzieht das Matthäusevangelium; sie herrscht auch hier. Der Lohngedanke bleibt. Vor allem aber sind es die «geringsten Brüder», denen wir Hilfe schulden, keineswegs alle Armen dieser Erde. Juden und Heiden zu helfen, das wird nicht verboten, aber der primäre ‹Nächste› ist das Gemeindemitglied. Das ist vor allem der arme, obdachlose und vielfach verfolgte Wanderprediger, der Hunger hat, krank wird und immer wieder ins Gefängnis kommt, in dem üblicherweise die Gefangenen nur das zu essen bekamen, was ihre Besucher mitbrachten.    [48]  
    2.  Die Zehn Gebote
    Fragt man Christen nach den Quellen ihrer Ethik, verweisen sie auf die Bergpredigt und die Zehn Gebote. Sehen wir uns beides genauer an, beginnend
    mit den letzteren, also mit dem sog. Dekalog.
    Der Wettergott Jahweh hat ihn unter Blitz und Donner auf dem Berg Sinai gegeben; er hat mit eigener Hand die Gebote auf zwei Steintafeln geschrieben und diese seinem Diener Moses überreicht. Höhere Autorität können Lebensregeln nicht haben.    [49]  
    Am Anfang stellt Gott sich vor: Er ist der Gott Israels,

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