Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Sinaierzählung eingebaut wurde. Sie erwähnen weder Erschaffung noch Bundesschluß noch die Befreiung aus Ägypten.
Um Gesetze oder Rechtsregeln handelt es sich durchweg. Die ersten drei Gebote sind reichlich mit theologischen Erklärungen versehen. Hier spricht Gott. Er habe sich als Urheber des Bundes treu erwiesen; er habe sein Volk aus Ägypten herausgeführt. Jetzt verlangt er dafür ausschließliche Verehrung. Er ist der einzige Herr Israels. Andere Völker haben andere Götter, aber Israel darf sie nicht mit seinem Gott verwechseln oder gar anbeten. Gott lehrt nicht den Monotheismus; er fordert kultische Ausschließlichkeit. Israel darf keine anderen Götter neben ihm haben. Diese Grundforderung ergibt folgende Vorschriften:
Israel darf keine Skulpturen anderer Götter aufstellen (5,8). Es darf kein Abbild irgendeines anderen Wesens, sei es ein Vogel, ein Landtier oder ein Fisch, als göttlich verehren. Ihm wird nicht jede Kunst verboten, doch bildet das Kunstwerk als mächtige, magische Gegenwart des Abgebildeten eine gefährliche Gotteskonkurrenz. Gott nennt sich eifersüchtig (5,9); er kündigt Strafe an, wenn Israel andere Götter verehrt. Gleichgewichtig bietet er Belohnung für Bundestreue. Sein Gegenüber ist das Kollektiv, daher straft er bedenkenlos bis in die dritte und vierte Generation. Er hat keine ethischen Bedenken gegen Sippenhaftung. Er verkündet Volksgesetze, keine individuelle Moral.
Er verbietet den Mißbrauch seines Namens (5,11). Auch hier kündigt er Strafe an bei Zuwiderhandeln. Verboten ist wohl die Verwendung des Gottesnamens bei Fluch und Zauber.
Besonders ausführlich fordert er das Einhalten des Sabbat (5,12–5, 15). Er habe Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit. Dort kannte die Fronarbeit keine Unterbrechung, aber jetzt soll der Sabbat Gott gehören, nicht der Arbeit. Der Paralleltext Exodus 20,11 begründet das Sabbatgebot mit der Ruhe des Schöpfers am siebten Tag. Diese Fassung beruht auf dem späteren der beiden Schöpfungsberichte, dem der sog. Priesterschrift; er stellt wohl die jüngere Fassung der Sinaierzählung dar. Er setzt die Eroberung Kanaans als geschehen und die Sabbatordnung als installiert voraus. Er legitimiert beides mit dem Befehl Gottes.
Für meine Überlegungen ist nicht entscheidend, ob Exodus 20 oder Deuteronomium 5 die ältere Textform darstellt. Beide Texte weisen Ungleichmäßigkeiten auf; sie sind zusammengestückt. Philologische Forschungen legen nahe, sie seien erst spät in die Sinai-Erzählung eingefügt worden. Dann wäre der Dekalog nicht vor dem 7. Jahrhundert entstanden; er wäre fast fünf Jahrhunderte jünger als der historische Moses, von dem wir fast nichts wissen. [51]
Die Sinai-Erzählung läßt sich weder geographisch noch historisch verifizieren. Aber in ihrem Rahmen hat der Dekalog auf Juden wie Christen gewirkt. Dieser Rahmen ist nicht gleichgültig, sondern bestimmt die Atmosphäre der Zehn Gebote. Sie kommen aus dem Herrschaftsfeld der schreckenerregenden Wettergottheit. Wer diesen Gott sieht, heißt es, muß sterben. Er ist unnahbar. Er verspricht dem verbündeten Volk Hilfe gegen seine Feinde; aber er fordert Gegenleistungen. Die Liste seiner Forderungen ist der Dekalog; die Verbote sechs bis neun sind alltägliche Regeln des Zusammenlebens eines Stammes und wurden vielleicht erst nachträglich theologisiert. Das heißt nicht, der Dekalog gehöre nicht in die Geschichte der Ethik. Aber er ist eine Ethik von Rechtsregeln. Er steht im Rahmen einer Religion, die den Zusammenhang von Familie, Verwandtschaft und Kult ordnet, und er gehört zur historischen Sage vom militärischen Sieg über die Ägypter und von der Ausrottung der Bewohner Kanaans. Vom Menschen als Menschen ist nirgends die Rede.
Moses empfängt den Dekalog vor der gewaltigen Gebirgskulisse: Er kommt aus der Hochgebirgslandschaft mit Donner, Feuer und Rauch. Der Ton der Widderhörner schwillt an. Das Volk war drei Tage zuvor auf die Szene vorbereitet: Es wusch seine Mäntel; die Männer; die hier allein mit ‹Volk› gemeint sind, durften kein Weib anrühren. Auch nach der Gesetzesmitteilung ist es überzeugt: Gott sehen heißt sterben. [52]
Die Szene auf dem Sinai hat alle Merkmale des Gottesschreckens; der Herr Israels verspricht Hilfe, verlangt aber Gegenleistung und droht generationenübergreifende Strafen an. Er lädt nicht ein zur ruhigen moralischen Selbstbesinnung, sondern zeigt seine Macht. Sein Volk will ihn
Weitere Kostenlose Bücher