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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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unter Donner und Blitz, Feuer und Hörnerschall im grausigen Hochgebirge. Diese Ethik war das Gesetz der eifersüchtigen Besitzansprüche Jahwehs, vom Himmel gedonnert als literarische Szene einer fiktiven Wüstenwanderung. Christliche Ethiker verwandelten mit Hilfe der antiken Philosophie – ihres Wertesystems, also ihrer Tugendordnung und ihres Konzepts von Physis – das Herrische und Befehlsmäßige dieser Instruktion in Weltbetrachtung und Vernunftaufgabe. Die schulmäßige Abzweckung der stoischen Naturkonzeption mit der Teleologie als Leitidee zwangen Sexualität und Ehe in ein starres Schema. Ehe und Sexualität wurden von ihrem ‹Zweck› her als Mittel der Reproduktion gedacht. Theologen wiederholten dieses stoische Erbstück als Christenlehre auch dann noch, als in entwickelten Gesellschaften die Mehrheit der Menschen viel länger lebte, als sie zur Fortpflanzung fähig oder willens war. Heute sehen fast alle Bewohner der reicheren Zonen Sexualität und Ehe als individuelles Leben und verbinden sie – zum Glück und mehr noch zum Unglück – mit Gefühl. Sie zählen auch die gleichgeschlechtliche Veranlagung zur individuellen Natur und weigern sich, diese moralisch zu zensieren. Diese humanere Bewertung von Sexualität und Ehe hat reale Voraussetzungen; sie antwortet auf unleugbare gesellschaftliche Entwicklungen und Tatsachen des gegenwärtigen Lebens: Die Verlängerung des durchschnittlichen Lebens, die sich ändernde Rolle der Frauen und die gestiegene Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang von Moral und Repression. Viele warten darauf, daß bibelfeste Protestanten heute mit lutherischem Bekenntnismut klar sagen, daß sie die Sexualethik der Hebräischen Bibel und der Paulusbriefe verwerfen. Gestehen katholische Obere den Bruch ein, den das westliche Kirchenvolk vollzogen hat mit dem in ihre Kirche importierten stoischen Naturbegriff und der banalisierenden Identifikation von Vernunft und Zweckmäßigkeit?
    Ich suche weiter nach der christlichen Ethik und gehe zur Bergpredigt.    [54]   Sie ist ein umfangreicher Komplex von Reden. Ich nehme den Text so wie er steht, unterlasse also die Frage, was Jesus wahrscheinlich wirklich selbst gesagt hat, und beschränke mich auf folgende Aspekte: 1. Die Goldene Regel. 2. Das nahe Weltende. 3. Die angebliche Entdeckung der ‹Gesinnung›.    [55]  
    3.1  Die Goldene Regel
    Die Bergpredigt umschließt viele und weitgehende Sprüche. Jesus besteigt wie ein zweiter Moses den Berg und beginnt damit, Arme und Trauernde glücklich zu preisen (5,3–5). Sie sind im Elend, aber sie sind glücklich; sie werden es nicht erst sein, wenn sie in den Himmel kommen, sondern sie sind es jetzt auf der Erde bei beginnender Königsherrschaft Gottes. Er sagt seinen Zuhörern – es sind seine Jünger, aber viel Volk steht herum –, sie seien das Salz der Erde und das Licht der Welt. Das werden sie nicht durch Reden, nicht durch Glaubensbekenntnisse und Titelvergaben an Jesus, sondern weil und wenn die Leute ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel dafür preisen (5,13–16). Die neue Gerechtigkeit sei größer als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Dies zu zeigen geht Jesus die einzelnen Gebote durch – Töten, Ehebruch, Meineid, die Liebe zum Nächsten und zum Feind (5,20–48). Er lehrt sie beten, also das Vaterunser (6,7–13). Er warnt vor Geldgier: Sie können nicht Gott dienen und dem Mammon (6,24). Er verbietet, über andere Menschen zu richten, d.h. sie zu verurteilen (7,1–6). Er fordert Entschiedenheit und verbietet die Sorge um das Essen und die Kleidung von morgen (6,25–34). Er warnt vor falschen Propheten und schließt mit der Mahnung, es komme auf Taten, nicht auf Worte an. Nicht jeder, der zu ihm ‹Herr! Herr!› sagt, komme ins Himmelreich (7,21–23).
    Inmitten dieser Vielfalt von Themen steht ziemlich isoliert die Goldene Regel. Sie wird von nichts anderem abgeleitet; sie wird nicht begründet; sie steht einfach da:
Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!
Darin besteht das Gesetz und die Propheten (7,12) .
    Das moralische Grundgesetz ist hier positiv formuliert, also nicht wie im deutschen Sprichwort:
Was du nicht willst, das man es dir tu,
das füg auch keinem andern zu!
    Jesus bzw. der Evangelist erwartet, das werde jedermann einleuchten. Sie appellieren an die schlichte Selbsterkenntnis: Du bist ein Mensch wie jeder andere und sollst dich dem anderen zuwenden wie dir selbst. Nicht mehr, auch nicht weniger. Kein

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