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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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davon absieht, erzeugt nur Radikalrhetorik. An kohärente Weltgestaltung ist in der Bergpredigt nicht gedacht.
    4.  Sexualethik
    Die christliche Ethik entwickelte seit dem 18. Jahrhundert im Protest des Bürgertums gegen die Zuchtlosigkeit des Adels ein spezielles Interesse am Sexualleben. Davor galt die Wollust als das geringste aller Laster. Doch gab es Sexualphobie schon in der Hebräischen Bibel, die Kinderreichtum schätzte, also die geschlechtliche Enthaltsamkeit nicht bewunderte. Aber dem Gott näherzutreten erforderte sexuelle Enthaltung wenigstens für einige Zeit. Homosexualität galt als todeswürdiges Verbrechen, während sie den Gott der Philosophen nicht störte.    [58]   Matthäus und Lukas übernahmen aus der hellenistischen Umwelt die Vorstellung der Jungfrauengeburt, die antiken Heroen und Genies nachgesagt wurde. Paulus war kein Freund der Ehe. Sie galt ihm als Mittel zur Vermeidung von Unzucht. Die verschiedenen Formen der Unzucht verzeichnete er sorgfältig in einem Katalog.    [59]   Die alttestamentliche Verdammung der Homosexualität führte er fort.    [60]   Augustin lobte die Ehe im Konflikt gegen Manichäer und radikal-monastische Christen: Sie sei gut, denn sie diene dem naturhaften Zweck der Vermehrung der Menschen, ferner der gegenseitigen Treue und der Vermeidung der Unzucht, aber Jungfräulichkeit sei das weitaus höhere Gut, denn in der Ehe lasse sich die ungeordnete Gier und die Lust der sexuellen Erregung nicht vermeiden. Im Paradies habe es sexuelle Gier nicht gegeben; daher das Ideal der Paradiesesehe. In ihr hätte keine böse Begierde (Konkupiszenz) den vernunftgeleiteten Gebrauch der Geschlechtsorgane gestört. Augustins Lob der Ehe war halb fiktiv. Weil sie ohne die böse Konkupiszenz ihr Ziel nicht erreicht, verlängert sie die Schuld Adams. Sie vermehrt ständig die Zahl der erblich Schuldigen. Durch Geschlechtsverkehr werde wirkliche Schuld vererbt. Um frei von der Ursünde zu bleiben, mußte Jesus von einer Jungfrau geboren werden. Die Macht der Begierde prägt das Menschenleben; das sei der Kampf des Fleisches gegen den Geist. Die sexuelle Lust verwirre alles; selbst in der auf Fortpflanzung festgelegten guten Ehe sei sie die Folge der Sünde. Daher der Vorrang des ehelosen Lebens.
    Thomas von Aquino hat die aus der Hebräischen Bibel, aus Paulus und Augustin überkommene Sexualauffassung nicht korrigiert, sondern verhärtet, indem er die Teleologie der stoischen Naturkonzeption streng durchführte. Er hielt die Ehe zwischen Maria und Joseph, die ohne sexuelle Beziehungen bestanden habe, für die vollkommene Ehe. Er dachte wie Augustin und andere Autoren des Mittelalters: Jesus mußte aus einer Jungfrau geboren werden, damit er frei bliebe von der Erbsünde. Augustin hatte die Ehe ein sacramentum genannt. Er meinte damit, sie habe den Charakter eines Zeichens der Liebe Christi zu seiner Kirche. Ein Sakrament im Sinn der sieben Sakramente, die Christus eingesetzt habe, wurde die Ehe erst durch die Konzilien von Florenz und Trient.
    Thomas präzisierte den alten Katalog sexueller Vergehen. Er unterschied:
Die einfache Masturbation, auch immunditio oder mollieties genannt,
den Geschlechtsverkehr mit Tieren, bestialitas genannt;
den gleichgeschlechtlichen Verkehr des Mannes mit dem Mann, der Frau mit der Frau. Paulus verwerfe ihn im ersten Kapitel des Römerbriefs als ‹sodomitisches Laster›;
die Verhinderung des Fortpflanzungszwecks durch ‹monströse› Positionen.
    Thomas legte die Grade der Sündhaftigkeit sexueller Vergehen fest. Die Schuld werde schwerer, wenn einer anderen Person dabei Unrecht geschieht, aber die größte Verfehlung sei die Homosexualität, das vitium contra naturam , denn die von Gott eingesetzte Ordnung der Natur stehe höher als die von Menschen eingerichtete Rechtsordnung. Sünden gegen die Natur verletzten die Naturordnung und begingen Unrecht gegen Gott, der die Natur geordnet habe.    [61]   Die Reformatoren bestritten den Vorrang der Jungfräulichkeit und polemisierten gegen die kirchenrechtliche Verpflichtung zum Zölibat. Den freiwilligen Zölibat ließen sie gelten. Die augustinische Bewertung der Konkupiszenz überwanden sie nicht.    [62]   Zur prinzipiellen Neubewertung von Ehe und Sexualethik brachten es erst Friedrich Schlegel und Schleiermacher, Freud und Foucault. Innertheologische Anläufe zur Neubewertung bei Karl Barth und einigen katholischen Neuerern wie Bernhard Häring blieben ohnmächtig.

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