Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
gestärkt, ihre Hoffnung auf seine baldige Wiederkehr hoch auf den Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Doch das nahgeglaubte Weltgericht verzögerte sich. Die Christen orientierten sich nochmal neu. Viele starben, ohne Jesu Wiederkehr in Herrlichkeit erlebt zu haben. Ihre Angehörigen fragten sich, was in der Zwischenzeit mit den Verstorbenen geschah. Da bot sich der Ausweg: Ihre Seelen lebten, da getauft, also ihrer Sünden ledig, oben in der himmlischen Seligkeit. Sie würden auf diese dritte Art erlöst, also weder durch Wiederherstellung des Reiches Salomons noch durch Parusie, also die Umwandlung der irdischen Welt, sondern durch Versetzung der frommen Seele in den Himmel.
Die frühen Christen ersetzten die Naherwartung durch Jenseitshoffnung; das gelang nicht ohne Widerstände. Lange noch hörten sie den Satz, an die Unsterblichkeit der Seele glaubten die Heiden, Christen glaubten an die Auferweckung des Fleisches. Platons Seelenbilder hatten schon auf die letzten Texte der Hebräischen Bibel und auf den jüdischen Philosophen Philo eingewirkt, und jetzt gestattete dieses griechische Lehrstück, den Frust über das Ausbleiben der triumphalen Wiederkehr Jesu leichter zu ertragen. Spätestens bei Augustin um 400 war der Prozeß der Assimilation abgeschlossen. Daß die Jesusbewegung die römische Besatzung nicht verjagt hatte, das sahen enttäuschte Jünger. Daß die Parusie nicht eintrat und kein neuer Himmel, keine neue Erde kamen, das sahen sie auch. Aber ob die Seele sterbend ins Jenseits wechselte, vielleicht nach einem Zwischenaufenthalt bis zum Jüngsten Tag, und dort ungestörtes Glück genoß, das sah niemand. Das war ausgedacht und wurde ausgemalt mit Nachdenken und Phantasie. Je luftiger die Konstruktion, um so schwerer zu widerlegen. Das gedachte Jenseits ließ sich leicht untergliedern. Es wurde eingeteilt zunächst in zwei, dann in drei Etagen; es wurde ausstaffiert mit Orten der Wonnen und Höhlen der Qualen. Die Erlösung lag jetzt im Unsichtbaren. Um so länger konnte sie sich erhalten. Sie erhält sich bis heute.
Auf dem Wechsel der Seele ins Jenseits beruhte nun alle Hoffnung und alle Höllenangst. Aber was war die ‹Seele›? Ihre dunkle Herkunft wurde mehrfach philosophisch gereinigt, bevor sie theologisch, d.h. für den Übergang ins Jenseits, brauchbar war. Denn von ihrem fernen geschichtlichen Ursprung her roch sie nach Blut und Sperma, nach Atem und Schlaf, nach Drogen und Traum; sie paßte nicht gleich zur halbplatonisch-idealisierten Hoffnung auf die selige Anschauung Gottes.
Alte Völker hatten von der Seele schon eine gewisse Erfahrung: Ein Schlafender lag reglos da, aber er träumte. Es mußte in ihm noch etwas anderes sein als der Leib; etwas, das aus ihm herausgehen konnte und zurückkam oder auch nicht. Ein Gefallener lag in seinem Blut: Mit seinem letzten Atem ging die ‹Seele› und kam nie mehr zurück; daher die Assoziation von ‹Seele›, Atem und Blut. Für die Helden Homers war mit dem Tod in der Schlacht nicht alles aus. Es löste sich die ‹Seele› und ging in den Hades. Sie war ein schwaches Bild des Getöteten, sein Schatten, der zwar sprechen, den man aber nicht anfassen konnte. Sie war nicht unabhängig vom Körper; sie war ohne Willenskraft und ohne geistige Aktivität; sie döste, sie dämmerte im Dunkel unglücklich dahin.
Die Hebräische Bibel hatte am Übergang der Seele ins Jenseits kaum Interesse. Für sie rächte sich alle Schuld auf Erden, und aller Lohn geschah im Diesseits; dabei zählte das Schicksal der Familie und ganz Israels. Das Buch Kohelet (3, 21) bestritt das Leben der Seele nach dem Tod. Erst in den spätesten Schriften der Hebräischen Bibel, im Buch der Weisheit – inzwischen kursierten Unsterblichkeitslehren auf dem hellenistischen Ideenmarkt –, sprach auch die Bibel von Unsterblichkeit der Seele.
Seit dem 5. Jahrhundert vor Christus arbeiteten griechische Philosophen am Seelenkonzept, auch naturphilosophisch, nicht selten materialistisch. Platon dachte die Seele als das Erfassen reiner Bestimmungen; sie war das Haben von mathematischen, logischen und ethisch-politischen Normen. Er sprach bildhaft vom Jenseits als der Seelenheimat; er griff ägyptische Vorstellungen vom Totengericht auf. Er schuf die literarische Gestalt des Sokrates. Sokrates personifizierte, was ‹Seele› bedeutete: Ein Mittleres zwischen dem Suchen nach Glück und dem wirklichen Glück. Die Fähigkeit, die Welt, vor allem die Polis, nach dem
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