Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
philosophisch unterlegten Schöpfungsdogma: Dieses sei philosophisch beweisbar, also für jedes vernünftige Wesen verbindlich. Damit verschaffte das christliche Denken sich eine Absicherung und lud sich zugleich eine Last auf, die seit dem 14., vermehrt seit dem 18. Jahrhundert immer schwerer wurde. Es sanktionierte und integrierte sich eine altertümliche Kosmologie auf der Grundlage der aristotelisch-ptolemäischen Astronomie, ergänzte sie mit biologischen Elementen, zum Beispiel mit der Ansicht von der Konstanz der Arten, und bestimmte die Zeitspanne seit der Erschaffung auf knappe 4000 oder 6000 Jahre.
Diese Annahmen gerieten schon seit dem 14. Jahrhundert ins Gedränge; das Zeitalter der Entdeckungen und der Metaphysikkritik baute sie ab. Daher verwarfen Christen, Luther voran, den Domherrn Kopernikus.
2) Das Dogma von der Gottheit Christi schuf früh theoretische Beweislasten. Es zwang zum Ausbau der Trinitätslehre bzw. wurde als dessen logische Konsequenz präsentiert. Dies erzeugte philosophische Festlegungen der Konzepte von Person und ‹Natur›, die mit dem modernen Begriff der Person zwar den Namen gemeinsam haben, aber mit ihm inkompatibel sind. Das 18. Jahrhundert brachte neue Theorien über das Bewußtsein; die Vorstellung zweier Bewußtseine in der Person Jesu wurde unerträglich. Weitere Belastungen erstanden durch die neue Philologie:
Der Glaube, durch Christus erlöst zu sein, hatte schon zur Zeit des Neuen Testaments zur christologischen Interpretation der Hebräischen Bibel geführt. Sie sollte unzweideutige Weissagungen enthalten über die Erlösung durch Jesus. Die Auslegung der Hebräischen Bibel als Weissagung Christi erzeugte den Dauerkonflikt mit deren jüdischer Interpretation. Aber gegen 1700 ergriff die strenge Philologie den Bibelstoff und machte den Weissagungsbeweis unmöglich. Die biblische Grundlage auch anderer dogmatischer Behauptungen geriet ins Wanken, z.B. die Abendmahlslehre. Wilhelm von Ockham schon hatte festgestellt, das Neue Testament erzwinge sie nicht in ihrer augustinischen, gar ihrer scholastischen Form, er akzeptiere sie nur im Gehorsam gegen die kirchliche Autorität. Aber diese erreichte gerade zu Ockhams Zeit einen Tiefpunkt der Anerkennung; sie verlor zunehmend in der Zeit der Religionskriege und im Kampf um neuzeitliche Freiheitsrechte und für Toleranz. Das Leben der realen Gesellschaft beruhte zunehmend auf dem freien Transfer von Informationen zunächst des Naturwissens und der Technik, dann aber auch des Kulturwissens. Die kirchenamtliche Gängelung der Bibelforschung verurteilte in beiden Großkirchen die wissenschaftliche Bibelarbeit, die sich ihr unterwarf, zur Bedeutungslosigkeit. Die neue Übersteigerung des Autoritätsprinzips führte zum Autoritätsverlust der konfessionellen Wahrheitsbehörden.
3) Der Ausbau der Lehre von der Kirche als einer ‹vollkommenen Gemeinschaft› stärkte die Hierarchie und ihre Souveränität sui iuris . Das führte im Mittelalter zu Konflikten mit dem Kaiser; es zerriß Italien politisch und machte die römische Kirche in der demokratisch werdenden Welt zum soziologischen Fremdkörper. Rom ist bis heute eine absolute Monarchie, ohne Gewaltenteilung und ohne Gleichberechtigung der Geschlechter.
So hat eine Reihe von Koeffizienten im 19. und 20. Jahrhundert die kulturelle Lage der zerstrittenen Christenheiten verengt. Es war nicht nur die Metaphysikkritik, welche die geistige Situation der christlichen Konfessionen veränderte, aber sie verdient in dem Prozeß besondere Beachtung. Lutheraner, die erklärten, sie trennten sich aus theologischen Gründen von der Metaphysik, hatten vorher – nicht in der Bibel, sondern bei Ockham oder Hume oder Kant – gelesen, daß auf sie kein Verlaß mehr sei, und machten aus ihrer Not eine Tugend. Das trennte die neue Lage des Glaubens und Unglaubens von der alten Situation der Jahrhunderte vor 1700 und ihrer schon damals prekären Harmonie. Leibniz glaubte noch, den Konsens zwischen Glauben und Wissen wiederherstellen zu können. Er sah, welch ein Bruch im Entstehen war.
3. Historisch-kritische Forschung
Das Christentum von heute ist geprägt durch die hier nur angedeutete Verlustgeschichte. Zwei Einschnitte vor allem trennen es von der Zeit vor 1700: Erstens bilden Gott und unsterbliche Seele nicht mehr Grundlage und Zielpunkt der Wissenschaft. Zweitens hat sich für geschichtliche Gegenstände – wie das Christentum einer ist – unabweisbar eine neue,
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