Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
etwa durch Verweis auf den Römerbrief 9,5 oder auf den Umstand, daß das Wort für Gott ( theos ) die Bedeutung ändert, je nachdem es mit oder ohne Artikel steht. [3]
In der Theologie hatte die historisch-kritische Methode ihren ersten großen Auftritt mit Lorenzo Valla (†1456). Er bewies mit Argumenten, die bis heute überprüfbar sind und sich als gültig erweisen, daß die Rechtsgrundlage des Kirchenstaats, die sog. Schenkungsurkunde Kaiser Konstantins an den Papst, eine Fälschung war. Er bewies weiterhin, daß Dionysius vom Areopag, den sein Freund Nicolaus Cusanus noch für den größten aller Theologen hielt, keineswegs ein direkter Paulusschüler, überhaupt nicht, wie er vorgab, ein Mann des ersten Jahrhunderts war, sondern daß er um 500 n.Chr. in Anlehnung an den heidnischen Philosophen Proklos seine neuplatonische Auslegung des Christentums unter falschem Namen in Umlauf gebracht hat. Die Argumentation Vallas war so präzise, daß sie bis heute als richtig gilt; neue Untersuchungen haben sie mehrfach bestätigt. Über Erasmus von Rotterdam erreichte Vallas Forschungsart Michael Servet. Der junge Spanier entdeckte, daß die augustinisch-scholastische Trinitätslehre im Neuen Testament nicht vorkommt. Er veröffentlichte sein Ergebnis unter dem Titel De Trinitatis erroribus in Hagenau 1531. Calvin ließ ihn dafür 1556 mit der Zustimmung vieler Christen verbrennen. Mit sanfter Gewalt veränderte die humanistische Philologie des 15. und 16. Jahrhunderts das Bild der frühen christlichen Tradition; die Religionsstreitigkeiten förderten die kritische Forschungsweise. Sie beschränkte sich ihrer Natur nach nicht auf Kirchengeschichte; sie entmythologisierte die Entstehungsgeschichte des Koran ebenso wie die Anfänge Roms. Sie entrümpelte Europas alte Legenden. Gegen 1700 erreichte sie einen ersten Höhepunkt in den Werken von Pierre Bayle (der Franzose starb in Rotterdam 1706) und von Richard Simon (†1712), der dieses Verfahren auf das Alte Testament anwandte, angeregt und herausgefordert durch Spinozas Tractatus theologico-politicus (Amsterdam 1670).
Um die neue Auslegungsart der Bibel vorzustellen, führe ich vereinfachend die Argumentation von Richard Simon vor. Diesen polyglotten Gelehrten, Ordensmann und Bibliothekar schloß seine Ordensgemeinschaft, das Oratorium, aus wegen seines Buches Histoire critique du Vieux Testament (Paris 1678). Sein Werk wurde verboten und in der ersten Auflage vernichtet, so daß ich es mir in der Neuauflage, Rotterdam 1685, besorgen mußte, um es 1967 in Frankfurt zum Nachdruck zu bringen.
Wer eine Ausgabe des Alten Testaments aufschlägt, findet darin fünf Bücher Moses. Richard Simon fiel auf, daß am Ende des 5. Buches der Tod des Moses berichtet wird. Er nahm an – wie vor ihm schon Spinoza –, Moses habe wohl nicht seinen eigenen Tod berichtet, und folgerte, Moses könne das Buch nicht als ganzes verfaßt haben. Er bestritt keineswegs die Autorschaft des Moses für alle fünf Bücher; er wollte möglichst wenig ändern. Er leugnete auch nicht die dogmatische Lehre von der Inspiration der Schrift. Er suchte eine Erklärung dafür, daß die Bibel einige Geschichten mehrfach erzählt. Er überlegte, die Schriftrollen seien klein gewesen und nicht miteinander vernäht, so daß es zu Unordnung der Teile und zu Dubletten kam. Er stellte sich vor, Moses habe ältere ‹Akten› aus dem Archiv der israelischen Republik zusammengestellt und verkürzt; dadurch sei manche Erzählung mißverständlich geworden. Ihn störten Ungereimtheiten in den Genealogien; auch die hohen Altersangaben erregten seine Zweifel. Adam soll im Alter von 930 Jahren gestorben sein, und Methusalem sei noch älter geworden, nämlich 966. Verdankten sich solche Zahlen Schreibfehlern? Waren sie falsch übersetzt? Richard Simon stellte solche Fragen und trat damit Lawinen los: Stammten vielleicht auch andere Texte nicht von Moses? Vielleicht auch das Zweite Buch Mose nicht, das vom Auszug aus Ägypten und von Gottes Taten am Sinai erzählt? Waren vielleicht die Verfasser gar keine Augenzeugen, wie man es von Moses annahm? Welche Verfassernamen waren historisch authentisch, welche nicht? Die Fragen weiteten sich aus: War vielleicht der Verfasser des Matthäusevangeliums kein Apostel? War Markus, der Evangelist, wirklich ein Petrusschüler? Richard Simon war katholischer Geistlicher; er suchte vernünftige Gründe gegen das sola scriptura -Prinzip der Protestanten, aber seine
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