Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
strenge Methode entwickelt. Wenn Christen wähnen, ihr Glaube habe mit diesen beiden Entwicklungen nichts zu tun, täuschen sie sich über ihre reale Lage. Ihre Glaubensinbrunst mag Berge versetzen. Aber sie ersetzt nicht historische Umsicht. Ich bin kein Christ, weil ich die veränderte Lage sehe und aus ihr die Konsequenzen ziehe.
Der Bruch, den Leibniz überwinden wollte, war entstanden durch die empiristische Tendenz in der Philosophie. Sie zerstörte die alten philosophischen Gewißheiten von Gott und Unsterblichkeit der Seele. Was das konkret bedeutet, zeige ich in den Folgekapiteln. Hier wende ich mich dem zweiten Vorgang zu, also der neuen Geschichtsmethode. Leibniz war beunruhigt: Spinoza und der französische Orientalist Richard Simon hatten die Fruchtbarkeit ihrer neuen kritischen Bibelanalyse bewiesen; Pierre Bayle hatte in vier mächtigen Bänden den umstürzlerischen Denkstoff versammelt, den die historisch-kritische Durchleuchtung der Theologie- und Kirchengeschichte zutage förderte.
Theologen sind nach Religion, Konfession und Schulrichtung zu sehr zerstritten, als daß man ihnen nachsagen könnte, sie trieben alle dasselbe. Ich rede hier, in diesem Abschnitt, nur von jenen Theologen – eine in Westeuropa immer kleiner werdende Gruppe –, die versprechen, historisch Gewißheit zu verschaffen vom wunderbaren Zug der Juden durch das Rote Meer. Hat sich das Meer ‹wirklich› vor dem auserwählten Volk geteilt? Ihr berühmtestes Beispiel ist die Auferstehung des Gekreuzigten; in diesem extremen Fall erwähnen schon die neutestamentlichen Erzählungen Zweifler wie den ungläubigen Thomas. Wer heute noch durch wissenschaftliche Betrachtung der Berichte die Zweifel zu beseitigen verspricht – nach dem Motto: Die Bibel hat doch recht –, muß scheitern. Jetzt reden wir nicht vom Glauben oder von Poesie, sondern von dem Anspruch, durch historische Wissenschaft dem schwankenden Glauben aufzuhelfen. Er kann keinen Erfolg haben. Das zeigen zahllose Beispiele, aber es ergibt sich auch schon beim Nachdenken über historische Methode.
Wissenschaften definieren sich nicht durch ihre Inhalte (‹Stoffe› oder ‹Materie› genannt), sondern durch ihre Verfahren, ihre ‹Methoden›. Das sind Regelsysteme, die ihre Anwender oft für zeitlos halten, nur weil sie meist erst nach längeren Zeiträumen ausgetauscht werden. Wer in ein solches System eintritt, wird Experte, und zum Experten gehört, daß er methodenimmanent konsequent verfährt. Er kann Vorschläge zur Verbesserung oder Abänderung machen, aber auch diese müssen sich kohärent auf den vorhandenen Regelsatz beziehen. Mit bloßen Wünschen und Anmutungen ist hier nichts zu machen.
Ein solches System von Regeln ist die historisch-kritische Methode. Ich sagte, sie könne prinzipiell nicht den christlichen Glauben begründen. Aber inhalts- und folgenlos ist sie deswegen nicht. Wenn das Christentum sich als geschichtliche Religion versteht, wenn es sich auf Ereignisse gründet, die unter Pontius Pilatus in Palästina geschehen sein sollen, dann veränderten sich seine Prämissen, seit sich mit der historisch-kritischen Forschung eine neue Betrachtungsweise der geschichtlichen Welt bewährt hat. Es gibt Theologen, die von ihr absehen oder sie nur zum Schein integrieren. Sie verhalten sich wie Naturkundige, die von Atomphysik nichts wissen wollen – wenn es solche Narren gäbe. Die historisch-kritische Untersuchung hat als einzige theologische Disziplin unbestreitbare Ergebnisse gebracht, und darunter verstehe ich Ergebnisse, die nur zusammen mit dem Beweisweg vorgetragen werden, der zu ihnen geführt hat, so daß sie widerlegbar sind. Weil sie prinzipiell widerlegbar sind, sind sie überwiegend sicher. Es ist Mode geworden, die Ungewißheiten der Vernunft in den Kulturwissenschaften zu betonen. Aber mit Redensarten ist hier nichts gewonnen. Wenn die historisch-kritische Bibelforschung zum Beispiel feststellt, Paulus nenne niemals Jesus ‹Gott›, dann ist leicht mit völliger Gewißheit zu ermitteln, ob dieser Satz wahr ist oder falsch. Wenn er richtig ist, sagen die vermutlich ältesten Texte der Christenheit noch nichts von der Gottheit Christi. Wenn er wahr ist, verlangt er als unbestreitbares Faktum eine historische Erklärung, von der nur ablenkt, wer vorbringt, historisches Wissen sei keine strenge Wissenschaft. Natürlich kann die Frage auch als unentscheidbar beurteilt werden, aber auch dann nur mit philologisch präziser Argumentation,
Weitere Kostenlose Bücher