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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Gründen überzeugen, sonst wäre niemand Christ geworden.
    Wer Christ wurde, mußte seine Gründe haben. Er mußte sie beurteilen. Ich unterstelle ihm keine philosophischen oder historischen Untersuchungen, aber doch eine minimale rationale Rechtfertigung, warum er ihn übernehmen sollte. Mußte er dafür nicht Gründe suchen, die den Glauben nicht schon voraussetzten?
    Zweitens frage ich den, der sich weigert, seinen Glauben zu begründen: Soll dein Beschluß zu glauben ‹vernünftig› sein, oder nicht? Kannst du aus dem Gewebe deiner Gedanken isolierte Stücke abschotten gegen Anfragen von außen und Zweifel im eigenen Innern? Wer sich die Frage verbietet, ob er seine Überzeugungen rechtfertigen kann, übt Zwang gegen sich selbst aus. Mag bei Geschmacksfragen jeder sagen, was ihm gefällt, das Bewußtsein von der Realität Gottes ist von ganz anderer Art; es ist seinem Sinn nach nicht auf Einzelne beschränkt. Ob ein guter und allmächtiger Gott die Geschichte regiert, ist eine so nahegehende und zugleich universale Frage, daß, wie Kant einmal schreibt, ihr gegenüber Gleichgültigkeit nur geheuchelt sein kann. Ich folge Kant nicht bei seinem Verdacht auf Heuchelei, denn es gibt zu viele Motive, gleichgültig bleiben zu wollen oder zu müssen. Aber richtig ist sein Gedanke von der Zuständigkeit aller: Alle erfahren Geschichte; jeder kann darüber mitreden, ob sie ihm wie das Werk eines guten und weisen Herrn vorkommt. Von einem Urteil darüber läßt sich nicht einmal denken, es sei nur einer Einzelperson oder einer Gruppe Auserwählter erlaubt.
    Drittens: Wer jede Begründung seines Glauben verweigert, den wird man doch wohl fragen dürfen, was er denn mit solcher absoluten Festigkeit glaubt. Er möge uns die Inhalte seines Glaubens mitteilen. Sagt er uns darüber auch nur zwei Sätze, kann man ihm zeigen, daß andere Christen andere Inhalte nannten und daß es Christen gab, die gerade seine Sätze bestritten. Ist ihm das gleichgültig, oder gibt er zu, daß auch er eine Auswahl unter möglichen Glaubenssätzen getroffen hat? Läßt er sich mit anderen Christen in eine Unterhaltung darüber ein, welche der gewählten Sätze warum wahr, andere aber falsch oder unsicher sind, dann tritt er in die Diskussion ein, um die es hier geht und die er anfangs verweigert hat. Zum Sichersten, was wir vom Christentum wissen, gehört, daß es in Hunderte von Konfessionen und Grüppchen zerfällt. Solange die Christen dem Befehl Christi, sie sollten eins sein , nicht gehorcht haben, muß der Glaubenswillige darüber nachdenken, welcher dieser Gruppen er seine Zustimmung gibt. Beruft er sich in dem Sinn auf sein Gefühl, daß er sich bei schwäbischen Pietisten wohler fühle als bei neapolitanischen Katholiken, wird ihm das niemand verargen. Darin ist er frei, aber wenn er so sein Christentum begründen will, kann man ihm sagen, daß das keine Begründung ist und daß er sich als intellektueller Zeitgenosse den Fragen entziehe, die sich seit etwa 1700 objektiv stellen und die ihrer Natur nach eine universalisierbare Antwort fordern, warum er Christ ist.
    Schließlich: Wer über seinen festen Glaubensstandpunkt keine Unterhaltung und gemeinsame Prüfung zuläßt, erwartet bei keiner anderen Christengruppe und bei keiner anderen Religion Wahrheit. Er identifiziert Wahrheit mit seinem Gruppenzugehörigkeitsgefühl; er wird in der Tendenz, wenn auch nicht seiner Absicht nach, intolerant. Er stellt sich die Bekehrung zu seiner eigenen Religion wie die Massentaufe einer germanischen Gefolgschaft vor. Wenn die Individuen nicht urteilen können oder dürfen, entscheidet eine äußere Autorität, eine militärische oder politische, welche Wahrheit auf welchem Territorium gilt.
    Dafür haben wir in Deutschland reichlich Beweise. Bis heute folgt die Religionsmehrheit den Landesgrenzen von Fürsten, die vor Jahrhunderten bestimmten, was man zu glauben hatte. Und daß es in Ostdeutschland weniger Christen gibt als im Westen, erklärt sich aus dem Erfolg der Roten Armee.
    Zweitens: Erlebnis
    Der Zugang zum Glauben bestehe, sagen andere, nicht in der kühlen Bewertung seiner Glaubwürdigkeit, sondern sei, wie sie sagen, Sache des ‹ganzen Menschen›. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts protestieren Europäer gegen moderne Rationalisierung und Mechanisierung; seitdem setzen Theologen zur Glaubensbegründung gern auf das ‹Erlebnis›. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurden ‹Erlebnis›, ‹Echtheit› und ‹Authentizität› zu

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