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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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entstehen und fallen, gerät aus dem Blick. Außerdem klingt es, als sei der Mensch fraglos der Herr seines Geschicks. Als hinge alles nur von ihm ab. Das paßt nicht recht zum demütig-frommen ‹Entscheidungschristentum›.
    Fünftens: Sinn des Lebens
    Wer fragt, ob er glauben soll oder nicht, erhält oft die Antwort, er solle an Gott glauben, denn nur so bekomme sein Leben einen Sinn. Ich gestehe, daß ich diese Begründung nicht verstehe. Der Gläubige, der so redet, denkt doch wohl, das Leben, auch mein Leben, habe einen Sinn, gleichgültig, wie ich mich entscheide. Nimmt er nicht an, mein Leben habe schon vorher gottgegebenen Sinn und es liege nicht in meiner Macht, den Sinn des Lebens zu zerstören? Es ist lebensfeindlich, jedes Leben für sinnlos zu erklären, das nicht den einzig ‹richtigen› Ausweg aus der theologischen Entweder-Oder-Zwangslage wählt. Um eine solche Situation zu verstehen, muß der Einzelne schon Sinnerfahrungen gemacht haben. Als Mitglied seiner Sprachgemeinschaft macht er sie ständig. Es ist anmaßend, alles nicht-christliche Leben als sinnlos darzustellen. Ein Christ kann doch kaum behaupten, Gott habe eine sinnlose Welt erschaffen, die allein durch subjektive Glaubensbeschlüsse Wert bekomme.
    Was heißt überhaupt ‹Sinn›? Der ‹Sinn› des Pferdes ist, daß es laufen kann und ein Pferde-Leben führt. Noch diese Formulierung enthält etwas Künstliches und Gezwungenes. Wenn der Christ sagt, sein Leben habe Sinn, dann macht er diese Aussage mit jeder beliebigen Tatsachenfeststellung über sein Leben kompatibel. Wenn ihn ein Auto überfährt oder wenn er Lungenkrebs bekommt, sagt er auch, sein Leben sei sinnvoll. Oder ist sein Leben nur sinnvoll, weil ihn sein Glaube für das jenseitige Leben disponiert? Dann wäre das irdische Leben in sich sinnlos, eine Attrappe als Rampe fürs Jenseits. Die Formel ‹Sinn des Lebens› verleugnet schwerlich ihre nihilistische Herkunft. Sie kommt vor dem Jahr 1880 auch kaum oder gar nicht vor. Wenn heute ein Prediger ausruft, Christus sei der Sinn des Lebens, so könnte er es vielleicht rechtfertigen aus der antiken Logosspekulation; ein Motiv, die christliche Botschaft anzunehmen, ist es nicht. Es ist ein Fall abstoßender Großmäuligkeit. Er spricht die Sprache der Werbung, nicht der besonnenen Prüfung.    [8]  
    Sechstens: Mut zum Sprung
    Hier ist die Rede von Gründen, die heute dazu bewegen könnten, den christlichen Glauben anzunehmen. Und da empfehlen Kirchenführer, die sich in der politischen Welt ein Maximum an finanzieller und juristischer Absicherung zu verschaffen pflegen und dafür selbst mit dem Satan ein Konkordat schließen, der Zweifelnde müsse den Mut zum Sprung haben. Sie gestehen damit ein, daß sie mit Argumenten am Ende sind. Sie reden vom Halbdunkel des Glaubens, wenn es erst um den Weg dorthin geht.
    Gute Argumente bilden eine Kette. Wer den ‹Sprung› anrät, empfiehlt – argumentativ gesehen – das Zerreißen von Gedankenketten. Joseph Ratzinger, der die Vernünftigkeit des Glaubens predigt, überrascht, indem er den Glauben als ‹Sprung› erklärt und die Glaubensentscheidung zum ‹Abenteuer› macht. Ein Abenteuer ist ein Unternehmen mit hohem Einsatz und ungewissem Ausgang. Erst im 20. Jahrhundert entdeckten Kirchenleute die Glaubensentscheidung als Ungewißheit und Wagnis. Im Neuen Testament rief Jesus den Jüngern noch zu: ‹Selig, die sehen, was ihr seht!›, Matth. 13,16. Die allgemeine Verdüsterung des Horizonts, der Abbau des Vernunftvertrauens hat die Theologie erreicht. Thomas von Aquino dachte noch, Gottes Vorsehung habe alle Sorgfalt darauf verwandt, daß die Glaubenszeugnisse zweifelsfrei in der sinnlichen Welt als glaubwürdig erkennbar sind. Sein Gott mochte überbegreiflich sein, wollte aber nicht mit dem Nichts verwechselt werden. Er war kein dunkles Loch. Er war eindeutig erkennbar, mochte er sich auch am Ende als übervernünftig erweisen. Das war zwar gewagte Spekulation. Aber ihr zufolge konnte Thomas die Entscheidung für den Glauben als logische Folge empfehlen. Sie war ihm kein Abenteuer. Wer springt, möchte doch wissen, wohin er springt und warum er das tun soll. Ein Sprungtuch, sagt die Feuerwehr, darf nur bei einem Sprung aus einer Höhe bis zu 8 Metern benutzt werden. So präzis reden die Spezialisten für Sprünge. Sie grenzen den Sprung rational ein. Die apologetische Verwendung löst die Metapher von jedem Kontext und schafft damit Mißtrauen. Es geht um Wahrheit.

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