Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Väter, über Erlösung und über Ethik. Wer die Liebe lobt, kann sich auf einige Sätze im Neuen Testament berufen. Immerhin sagte Jesus, daß nicht gerettet werde, wer ‹Herr, Herr› ruft, sondern wer den Willen des Vaters tue. Aber die Christen lehrten seit dem 2. und 3. Jahrhundert viel mehr. Sie gaben ihrem Glauben nach enttäuschter Naherwartung eine theoretisch anspruchsvolle Form. Und mit ihr muß sich auseinandersetzen, wer das Christentum bejaht oder verneint. Prediger tragen die Theorie vom Christentum als Liebe vor, um Gläubige zur Nächstenliebe zu bewegen. Das schadet nichts. Aber wenn jemand fragt, warum er Christ sein kann, reicht es nicht aus.
Drittens: Gestalt
Wenn Christen sich auf eine ‹Gestalt› berufen, die zum Glauben bewegt, dann meinen sie Jesus, seltener einen Heiligen oder eine Symbolfigur wie Mutter Teresa. Diese Position hat gegenüber den Portalen ‹Gefühl› oder ‹Erlebnis› den Vorzug inhaltlicher Bestimmtheit. Solche Ideal-Personen lassen sich sinnlich-direkt, ästhetisch und literarisch präsentieren; sie sind realisierte Programme von großer Geschlossenheit. Wer die Geschichte ihrer Leiden erzählt, erzeugt Identifikation; sie haben etwas Suggestives. Ich fürchte, sie sollen einem auch keine Wahl lassen. Und sie haben für meinen Fragepunkt – welche Gründe könnten zum Glauben bewegen? – zwei Nachteile:
Erstens kann die Bindung an sie erst entstehen, wenn ich mich für den Glauben an sie oder ihre Botschaft entschieden habe. Aber mir geht es hier um die Phase der rationalen Klärung der Argumente für das Christentum. In diesem Stadium bedeutet die Suggestivität einer religiösen Gestalt noch nichts, und sei sie Franz von Assisi. Ich kann einen solchen Helden sympathisch finden und seine geschichtliche Rolle anerkennen, aber seiner ‹Botschaft› widersprechen.
Zweitens war die Berufung auf ‹Gestalt› eine Modeerscheinung der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts und ist regelmäßig mit historischer Ungewißheit belastet. Solche ‹Gestalten› sind der Stoff, aus dem Legenden sind. Soweit die historisch-kritische Untersuchung sie erreicht, verlieren sie ihre religiöse Verbindlichkeit oder sie verfallen der Ästhetisierung. Sie werden zum literarischen oder künstlerischen Motiv neben vielen anderen.
Viertens: Entscheidung. Entweder – Oder
Der Wiener Kardinal Schönborn schrieb neulich, wir lebten in der Übergangszeit zwischen Autoritäts- und Entscheidungschristentum. Zu einer Entscheidung gehört, daß man ja oder nein sagen und auch sich der Stimme enthalten kann. Und wenn es eine vernünftige Entscheidung sein soll, braucht es Kriterien dafür, was zu bejahen oder zu verneinen ist. Dem tritt heute fordernd das Konzept der ‹Entscheidung› entgegen, der ich die Entscheidung entgegenstelle, nicht leichtfertig zu glauben. Der Zweifelnde kann verlangen, daß niemand ihn drängt, während er die Kriterien diskutiert. ‹Entscheidung› ist kein vernünftiges Kriterium für Entscheidungen; zuvor will ich wissen, warum ich mich wofür entscheiden soll. Glaubensverkünder drängen auf Entscheidung: Wer nicht für sie ist, sagen sie, sei gegen sie. Sie gestatten nicht den unorganisierten prüfenden Zuschauer. Philosophen des 20. Jahrhunderts haben Kierkegaards Analysen aufgegriffen und werteten Indifferenz als uneigentliches Leben. Aber manchmal ist Indifferenz empfehlenswerter als Engagement. Wer ‹Entscheidung› fordert, verpönt das Spielerische des bloßen Dahinlebens; er rät zu Ernst und Eigentlichkeit. Er kann vorbringen, unsere Lebenszeit sei knapp. Niemand wisse, wieviel Spiel- und Reflexionszeit ihm noch bleibt. Aber wer sich entscheiden will zwischen Glauben oder Unglauben, darf fragen, welchen Glauben und warum gerade diesen; er tut gut daran, sich für eine Zeitspanne der Unentschiedenheit zu entscheiden. Er kann auch entscheiden, er suspendiere sein Urteil über Glauben und Unglauben. Das entdramatisiert. Er verwirft das Lob kriterienloser Entschiedenheit. Den Akzent auf Entscheidung zu setzen, das entsprang der voluntaristischen Lebensauffassung einiger Post-Idealisten des 20. Jahrhunderts. Sie unterscheidet nicht zwischen vernünftiger und unvernünftiger Entscheidung, oder sie versichert uns, Lebensentscheidungen erfolgten ohnehin grundlos, kriterienfrei.
Dem Pathos der Entscheidung und der Entschiedenheit haftet etwas Irrationales an. Der sprachliche, soziale und geschichtliche Kontext, in dem Entscheidungen
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