Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Vorsehungsplans, mit dem Gott das Menschengeschlecht für das geistige ewige Leben vorbereite. [9] Der Glaube an die tatsächliche geschichtliche Erlösung müsse vorausgehen. Augustin dachte ihn nicht allein als Kenntnisnahme von Fakten, sondern als Reinigung der Seele, damit sie – gegen die Manichäer – die Wirklichkeit des einen Gottes intellektuell erfasse, der ausnahmslos alles erschaffen habe. In ihm, dem unwandelbaren Sein, finde die gereinigte Seele ihr Glück. Der Glaube an die zeitliche Offenbarung ermögliche die rein geistige Einsicht. Diese bestehe in der platonisierenden Erkenntnis Gottes als dem einzig beständigen Glück der Seele.
Die Wahrheit der Religion bemaß Augustin nach dem, was er für das Wesentliche der Philosophie Platons hielt, aber er verlangte als Vorbedingung die Umkehr der Seele durch Annahme des autoritativ verbürgten Glaubens. Hätte es in der Spätantike nicht die einflußreiche platonisierende Schule gegeben, hätte Augustin nicht die christliche Religion als die einzig wahre darstellen können. Seine philosophisch hochangesetzte Argumentation beruhte insofern auch auf einer Reihe von bloßen Fakten: Es gab eine wohlorganisierte Kirche mit definierten Eintrittsbedingungen. Die Kindertaufe hatte sich noch nicht durchgesetzt; es gab noch heidnische Kulte; gnostische Christengruppen warben noch um Anhänger. Sokrates und Platon waren bekannte Namen; sie hatten in Augustins geistiger Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt, ohne daß er zwischen Platon und den Neuplatonikern unterschieden hätte. Vom neuplatonischen Denken schuf er sich einen theologisch verkürzten Aufriß. Er kritisierte Sokrates und Platon: Aus Furcht hätten sie sich nicht gegen den Aberglauben der polytheistischen Kulte gewandt, den sie doch als Irrtum durchschaut hätten; sie hätten sogar daran teilgenommen, obwohl das ihrer philosophischen Theologie widersprach. Sie hätten sich gegen ihre philosophische Einsicht dem Stadtkult unterworfen. Erst die christliche Kirche habe diesen Zwiespalt zwischen Philosophie und Volkserziehung beseitigt; sie allein verkünde den Volksmassen die reine Lehre vom jenseitigen Gott. Im Verzicht der Mönche auf die Ehe sah Augustin die Verwirklichung der platonischen Ethik. Die bekehrten Massen führte er als Argument an. Die spirituelle Wahrheit des Platonismus stehe jetzt allen Menschen offen. Augustin sah die gewalttätige Religionspolitik der römischen Kaiser des 4. Jahrhunderts als Durchsetzung der einzigen Wahrheit und Abschaffung des Aberglaubens. Er triumphierte: Wir leben jetzt in christlichen Zeiten (3, 3, 8: christianis temporibus ). Was Platon und Sokrates in ängstlichen Vermutungen gelehrt hätten, werde jetzt bis an die Grenze der Erde allen als feste Wahrheit gelehrt. Der Erfolg der christlichen Mission war sein De-facto-Argument für die Wahrheit des Glaubens. Vorher gab es den allgemeinen Kult, zu dem jeder, der kam, zugelassen wurde, unabhängig von seinen Überzeugungen. Die christliche Glaubensgemeinde lasse dagegen nur Gleichgläubige zu. Die christlichen Gemeinden kontrollieren die Gesinnungen. Jetzt gebe es ‹unzählige Häresien›; das Wahrheitsbewußtsein der christlichen Gemeinde verweigere den Häretikern den Zugang zu ihren Versammlungen (5, 8, 26). Dies folgte für Augustin aus dem Wahrheitscharakter der christlichen Religion. Der bisherige Polytheismus war ein Irrtum ( error ); der Kult war abergläubig. Die Juden seien zwar Monotheisten, kennten aber nicht die jenseitige Welt. Nur die einzig wahre Religion öffne den Zugang zum guten und glückseligen Leben. Wenn die großen griechischen Philosophen noch lebten, würden sie Christen. Sie brauchten an ihren Lehren nur wenige Worte zu ändern: paucis mutatis verbis atque sententiis Christiani fierent , 4. 7, 23.
Augustins Schrift De vera religione ist das klassische Dokument der Entwicklung einer Religion, die sich unter die Regeln einer wahren Religion bringt. Diesen Prozeß hatte nicht erst Augustin eröffnet; er ergab sich aus der Konkurrenz der Philosophien und Religionsparteien der hellenistischen Zeit. Aber Augustin sprach aus, welche Konsequenzen das hatte: Diese Wahrheits-Religion trieb Mission und schloß Fremddenkende aus. Beides ergab sich nicht allein aus dem Neuplatonismus, der allerdings von der Einzigkeit der substantiellen Wahrheit für alle Menschen überzeugt war. Mit Augustin eignete sich die römisch-rigid organisierte Christengruppe, die sich auf
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