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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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christliche Zeitgenosse, er sei seines Glaubens gewiß, gewisser als des ohnehin ständig sich verändernden Wissens, und er würde seine Glaubensgewißheit verleugnen, sähe er seine Religion nicht als die ‹wahre›. Wenn ‹Wahrheit› dieselbe sei für alle , dann müsse man auch versuchen, sie allen zu verkünden und sie umzusetzen zu Lebensverhältnissen, Volksgewohnheiten, Gesetzen und Erziehungsregeln; der Islam des 21. Jahrhunderts beweise das mit bewunderungswürdiger Konsequenz. Toleranz und Schonung der Irrenden sei ein Zeichen schwindenden Glaubens. Bis fast in die Gegenwart hinein haben die christlichen Kirchen den Expansionismus gefordert. Sie haben missioniert und überall, wo sie die Macht hatten, repressive Ausschließlichkeit praktiziert. Wer diese Linie verlassen will, muß auf das Konzept der «wahren Religion» verzichten oder den Begriff von Wahrheit umbauen.
    Ein neues Wahrheitskonzept zu fassen, das ist leichter gesagt als getan. Ich skizziere knapp in wenigen Paragraphen die Richtung, in der ich es suche:

    § 1 Ich beginne die Überlegung mit der alten Bestimmung von Wahrheit als dem Zusammenstimmen von Sache und Intellekt.    [10]  
    Wer sie primär bezöge auf das Verhältnis der geschaffenen ‹Sache› zum Intellekt des Schöpfers, wähnt sich schon im Besitz einer wahren philosophischen Theologie; er hat für sich das Wahrheitsproblem schon gelöst; so kann die philosophische Arbeit nicht beginnen. Eher setzt sie ein mit der sinnlichen Erfahrung. Diese ist eine Art von Wahr-nehmen, kommt aber in der klassischen Wahrheitsdefinition nicht vor; die zitierte Wahrheitsformel beschränkt – platonistisch – ‹Wahrheit› auf ein Verhältnis des Intellekts. Und keinesfalls stehen die ‹Sachen› in der Außenwelt einfach da – als brauchten wir nur hinzusehen, um mit ihnen in Übereinstimmung zu kommen. Für die geistige Erkenntnis haben auch Aristoteles und seine mittelalterlichen Kommentatoren eigene intellektuelle Operationen des menschlichen Geistes verlangt, die allein den allgemeinen Charakter der ‹Sache› herausarbeiten könnten. Für sie war ‹Sache› nicht identisch mit ‹sinnlichem Ding›. Um schlichtes Abbilden der Realität konnte es sich schon damals nicht handeln. Sie verstanden die Wahrheitsformel nicht im Sinn des naiven ‹Realismus›. Es ist der Intellekt, der die Erkenntnis ‹macht›, und den Intellekt werden wir uns weder als einen gefallenen Engel vorstellen noch als ein sichtbares Lebewesen. Er ist individuell, aber kein empirisches Individuum wie ein Ding der Außenwelt. Als ein Wesen, das spricht, ist er, wenn er hier ist, immer auch schon bei ‹Sachen› und bei anderen Wesen, von denen er seine Sprache gelernt hat und zu denen er über die Welt spricht. Verallgemeinernd organisiert er spontan seine Erkenntnisse. Er konstruiert sie, verhält sich nie nur rezeptiv. Aber in der realen Welt kommt er nur vor, sofern er sich mit anderen über die ‹Sachen› verständigt. Seine Annäherung an die Sache ist sowohl persönliche wie gesellschaftliche Arbeit unter kontingenten Bedingungen. Sie ist geschichtlich. Oberhalb oder außerhalb der Geschichte haben Menschen keine ‹Sachen›.
    Erörterungen über ‹die Wahrheit› sollten daher nicht zu hoch einsetzen, etwa beim Intellekt Gottes oder bei der ‹Wahrheit des Seins›. Ich möchte sie nicht zu niedrig beginnen, also nicht so tun, als ob wir gar nichts wissen könnten.
    Es gibt vielfache Möglichkeiten der Täuschung, und ein älterer Privatphilosoph faßte, auf sein Leben zurückblickend, seine Erfahrung dahin zusammen:
Denn daß niemand den andern versteht, daß keiner bei denselben Worten dasselbe, was der andere, denkt, daß ein Gespräch, eine Lektüre bei verschiedenen Personen verschiedene Gedankenfolgen aufregt, hatte ich schon allzu deutlich eingesehen …
    Dieser Autor spricht fast im Plauderton eine individuelle Erfahrung aus; er vermeidet verbalen Radikalismus, läßt uns aber kaum Wahrheitschancen. Doch steht die Hoffnung, etwas Wahres zu finden, nicht ganz auf verlorenem Posten, wenn wir auf die alte Anmaßung des Verstandenhabens verzichten und ‹Wahrheit› nicht zu jenseitig fassen. Wir sind im praktischen Alltag zuweilen gut, wenn auch nicht fehlerlos orientiert. Vieles an fremdem Seelenleben und geschichtlichen Ereignissen bleibt uns verschlossen, aber wenn ich eine Straße überquere, weiß ich in der Regel, ob ich starken Verkehr fürchten muß oder sorglos schlendern

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