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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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wohlverbürgte Tatsachenüberlieferung berief, den platonisch-universalen Theismus an. Sie verstand sich als die Verbrüderung der Erlösten, die jetzt durch Gottes Fügung gesellschaftliche Anerkennung und physische Macht bekommen habe. Sie zog Konsequenzen nicht direkt aus dem platonisierenden Wahrheitskonzept, sondern aus den Erfolgen der repressiven kaiserlichen Religionspolitik, die sie mit Philosophie unterlegte.
    Das Christentum hatte gesiegt; es wurde über die damals bekannte Erde hin auch einfachsten Menschen verkündet; in der Kirche dominierte die mönchisch-asketische Richtung; die christliche Wahrheit war in eindeutigen Regeln, den Bekenntnisformeln, gefaßt: die mächtige, reichgewordene Kirche war hierarchisch organisiert; sie forderte und bekam Militär- und Polizeischutz; sie hatte den Reichtum phantasievoller altkirchlicher Texte zum Kanon gebändigt – das waren die Tatsachen, die neben der Hintergrundsberufung auf Platons Konzept von ‹Wahrheit› alles bestimmten. Zunehmend identifizierte die Kirche sich als das neue Israel. Sie übertrug das exklusive Gottesverhältnis des späten Israel auf sich selbst und auf die Gegenwart der ewigen Wahrheit in ihr; sie übernahm mit Überzeugung das Gebot Jahwehs, fremde Kultstätten zu zerstören.
    Der Restplatonismus in Augustins Konzeption der wahren Religion hatte zur Folge, daß er nur die Religion als die wahre anerkennen konnte, die den platonisch-reinen Begriff Gottes als des höchsten Gutes lehrte und das Verlangen jeder Menschenseele nach bleibendem, also jenseitigem Glück befriedigte; sie mußte eine Ethik verkünden, die sinnliches Vergnügen der Jenseitsbestimmung der Seele unterordnete und daher die Ehe widerriet. Sie arbeitete, militärisch unterstützt, daran, daß diese Einsichten nicht auf esoterische Philosophengruppen beschränkt blieben, sondern allen Menschen in der ganzen bekannten Welt autoritativ vorgelegt und von den meisten geglaubt wurden.
    Unter den realen geschichtlichen Bedingungen des 4. Jahrhunderts und bei den theoretischen Voraussetzungen Augustins führte die Konzeption der einzig wahren Religion zu Ausschließlichkeit, Überzeugungskontrolle und Intoleranz. Sein Gott, schrieb Augustin in De consensu evangelistarum, werde überhaupt nicht verehrt, wenn er nicht als der Einzige verehrt werde: Nisi solus colatur, iste non colitur . Das ist eine Formel für Fundamentalismus.
    Dafür ist nicht Platon verantwortlich, auch nicht Plotin. Augustin brachte heterogene Faktoren zusammen: Sein Neu-Platonismus konzentrierte sich darauf, die Seele durch asketisches Leben zum jenseitigen Dauerglück beim rein geistigen Gott zu führen; die teilweise gewaltsame Christianisierung der Welt durch die letzten römischen Kaiser galt ihm als Beweis der Wahrheit des Christentums.
    4.  Religiöse Wahrheit heute
    Mir geht es hier nicht primär um Augustin und das 4. Jahrhundert, sondern um folgende gegenwärtige Frage:
    Wie könnte heute ein Christ diese augustinische Kombination von volkserzieherischem Spiritualismus und rücksichtsloser, weil der ‹Wahrheit› verpflichteter Machtpolitik vermeiden? Gelänge ihm dies aus Gründen, also nicht nur aus Gutmütigkeit oder vorübergehender polizeilicher Ohnmacht, hätte dies für ihn konzeptionelle Vorteile: Er geriete nicht in Konflikt mit Prämissen der demokratisch-pluralistischen Gesellschaft; er könnte wie noch der Augustin des Jahres 390 kirchliche Gewaltpolitik als un-jesuanisch ablehnen. Denn gerade in den Jahren, in denen Augustin den Platonikern am nächsten stand, forderte er die sanfte Verbreitung seiner wahren Religion. Freilich besteht ein Zusammenhang zwischen Konzeption der Wahrheit und Tendenz zur Intoleranz, sollte doch allein die Kirche sozial und faktisch die universale Vernunftwahrheit Platons verwirklichen. Gegen bewiesenen Vernunftinhalt hat keine Person ein Einspruchsrecht.
    Das stellt heute den Christen vor folgende Alternative: Entweder er gibt den absoluten Wahrheitsbegriff in der Anwendung auf seine Religion auf oder er sucht eine neue, mildere Konzeption von ‹Wahrheit›. Schwerlich wird er darauf verzichten, seine Religion als die einzig ‹wahre› zu bezeichnen. Er kennt, wenn er nicht Ethnologe oder Historiker ist, keine alt-verwurzelte Kultreligion mehr, die Augustin gerade dafür tadelte, daß sie keine Glaubensregeln aufstellte, keine Überzeugungen kontrollierte und den Zugang zu ihren Kulten nicht ideologisch beschränkte. Vielleicht antwortet der

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