Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Christentum (ich zitiere die Erstausgabe von 1968) darüber sprach, gestand er zunächst einmal zu, diese Idee sei von heidnischen Vorstellungen «wohl nicht völlig unberührt geblieben» (S. 227), aber nach diesem halbherzigen Zugeständnis an die Religionsgeschichte erklärte er sie dann doch aus seiner Theologie des alttestamentlichen Gottes: Die Jungfrauengeburt bedeute, daß der Mensch Jesus sich nicht der Menschheit verdanke, sondern ganz, auch dem Leib nach, das Werk Gottes sei (228). Ratzinger schließt seine Erklärung der Jungfrauengeburt, indem er darauf besteht, sie sei ein tatsächliches Ereignis gewesen. Achten wir auf jedes seiner Worte, wie er das sagt. Er schreibt:
«Es sollte eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen, daß all diese Aussagen (über den Sinn der Jungfrauengeburt, Zusatz von K.F.) Bedeutung nur haben unter der Voraussetzung, daß das Geschehnis sich wirklich zugetragen hat, dessen Sinn ans Licht zu heben sie sich mühen. Sie sind Deutung eines Ereignisses; nimmt man dies weg, so werden sie zu leerem Gerede, das man dann nicht nur als unernst, sondern auch als unehrlich bezeichnen müßte» (S. 228).
Dies steht am Ende des Abschnitts über die Jungfrauengeburt. Der Autor besteht abschließend darauf, sie sei ein wirkliches ‹Geschehnis›. Wer dies offenlasse, rede unernst und gar unehrlich. Aber wenn dies so ist, wäre doch vor der Erörterung über den Sinn des Vorgangs sein faktischer Charakter zu sichern gewesen. Wie er dies hätte bewerkstelligen sollen, kann ich dem Autor auch nicht sagen; vielleicht hätte er sich darauf beschränken können, daß die Jungfrauengeburt vor dem Jahr 100 tatsächlich geglaubt worden ist. Dann wüßten wir wenigstens, daß der Glaube an sie ein wirkliches ‹Geschehnis› war. Aber Ratzinger bemüht sich nicht um irgendeinen Nachweis. Er möchte sogar «eigentlich» über die Tatsächlichkeit nicht sprechen; er nimmt sie als selbstverständlich in Anspruch. Aber wieso sollte sie «eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen», wenn ohne Faktizität alle Aussagen über sie keine Bedeutung haben und die Tatsächlichkeit erst das Reden über sie ernsthaft und ehrlich macht? Unser Autor gibt sich für den Nachweis der ‹Wirklichkeit› des Geschehens nicht die geringste Mühe; er verlangt nur, daß sein Faktencharakter behauptet wird. Unwillig weist er Einwände ab; es sollte sie «eigentlich» gar nicht geben.
Ratzingers feine Sprache bringt es an den Tag: Vertreter der Offenbarungsreligionen wollen ihr universalistisches, realistisches und objektivistisches Wahrheitsdenken nicht korrigieren. Sie brauchen eben dieses. Selbst wenn sie es nur als leeren Anspruch vor sich hertragen. Daran hängt ihre Autorität. Augustin sagte einmal, er würde selbst dem Evangelium nicht glauben, wenn es ihm die christliche Kirche nicht bestätigte. Kirchen wollen, daß sie die eine göttliche Wahrheit für alle vermitteln. Dazu brauchen sie Tatsächlichkeit des Erzählten, denn so bleiben sie unentbehrlich für die Bestätigung eines ansonsten unkontrollierbaren Berichts. So kommt es, daß ab und zu einer schreiben muß, warum er kein Christ ist.
Kapitel III
Weissagungen und Wunder
1. Weissagungen
Ein heutiger Leser hört ungewohnte Töne, wenn in Debatten über die Wahrheit des Christentums die Wortverbindung ‹Prophezeiungen und Wunder› wiederkehrt. Aber diese beiden Begriffe waren bei evangelischen Christen bis etwa 1800, bei Katholiken bis etwa 1960 die intellektuellen Schlachtrösser, die sie für sich in den Kampf der Meinungen schickten. Und zwar in dieser Reihenfolge: zuerst Prophezeiungen, dann Wunder.
Dies erklärt sich aus der Geschichte: Die ersten Christen waren wie Jesus und die Apostel Juden. Als sich Christengruppen von der Synagoge trennten, konnten fromme Juden diesen Übertritt nur mitmachen, wenn er ihnen gut begründet wurde. Und begründet wurde er damit, daß Jesus die Voraussagen über den Messias erfülle, die sie in der Hebräischen Bibel lasen. Was Christen über Jesus berichteten, dem fügten sie daher gern hinzu, es sei secundum scripturas , gemäß der Schrift geschehen. Ein ‹Prophet› hatte es in ihren Augen nicht nur mit der Zukunft zu tun, aber um den Glauben an Jesus als Messias zu begründen, brauchten sie die Zukunftsvoraussagen, die sie in der Hebräischen Bibel fanden. Beweise aus den Prophezeiungen hatten den Vorteil: Sie waren durch Arbeit an Büchern zu gewinnen. Wahrnehmungen in der Natur waren
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