Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
durch Prediger; Boccaccio entlarvte solche Wortkünstler als geile und habgierige Egoisten. Vom Wunder blieb die Wundererzählung übrig, und sie fiel der historisch-kritischen Betrachtung anheim.
Die Neuzeit problematisierte die Wunder also sowohl philosophisch wie theologisch. David Hume formulierte die philosophischen Bedenken klassisch im 10. Kapitel seines Essay concerning Human Understanding. Wunder, sagte er, seien etwas Unwahrscheinliches, um so sorgfältiger sei ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. In der Neuzeit verschwand das Wunder zunehmend, aber nicht lückenlos, nicht in allen geographischen Regionen. Pascal verehrte die Wunder des Heiligen Dorns. Die Kurie verlangt seit Benedikt XIV. (1740–1758) vor jeder Heiligsprechung Wunder; sie geschehen denn auch. Aber bis zur frühen Neuzeit brauchten Wunder weder in Jerusalem noch in Athen oder Rom eine besondere theoretische Rechtfertigung. Die Welt war voll von ihnen. Überall waren Götter anwesend, oder Jahweh hielt die sichtbare Welt fest in seiner allmächtigen Hand und bewies mit Großtaten ab und zu seine Allmacht, belohnend oder strafend.
Das heißt aber nicht, die Menschen dieser Kulturen hätten, weil sie nicht das moderne ‹Weltbild› oder den strengen Begriff Newtons vom Naturgesetz besaßen, zwischen Wundern und gewöhnlichem Ablauf der Dinge nicht zu unterscheiden gewußt. Wenn die Sonne während der Schlacht stillstand, weil Josua es ihr befohlen hatte, oder wenn die Israeliten zwischen zwei Wasserwänden das Rote Meer durchschritten, fiel das auch ihnen auf. Sie wunderten sich und sahen die Hand Gottes auf ihrer Seite wirken. Eine Totenerweckung war auch für sie die Ausnahme; oft bestätigte das Wunder kraft göttlicher Allmacht die Rede dessen, der es als Gottes Werkzeug bewirkte. Zuweilen auch klagte ein verfolgter Gerechter, Gott wirke keine Wunder mehr und überlasse seine Getreuen dem Martyrium.
Allerdings wirkten auch der Teufel, seine Dämonen und die Priester anderer Religionen Wunder. Der Pharao hatte Magier, die genau wie Moses und Aaron ihren Holzstab in Schlangen verwandeln konnten, nur waren die israelitischen Schlangen größer und fraßen die Schlangen der Ägypter auf ( Exodus 7,8–13).
Um Wunder richtig zu deuten, bedurfte es besonderer Kräfte. Es kam auf ihren Zusammenhang an. Daher gab es keine rigorose Definition des Wortes ‹Wunder›. Unsere Einheitsübersetzung mit dem Wort ‹Wunder›, die das bezeichnet, was nach dem Naturgesetz nicht möglich scheint, steht für viele verschiedene Ereignisse und Vokabeln der alten Zeit wie ‹Zeichen›, ‹Machttat› oder ‹Zeichen und Wunder›. Es gab göttliche und satanische Wunder; daneben war die Magie als konkurrierende Kunst anerkannt, im eingeschränkten Sinn auch bei Thomas von Aquino, der dahin tendierte, ‹wahre Wunder› seien stets das Werk Gottes und seiner Beauftragten. Es gab magische Krankenheilungen und wirksame, tödliche Verfluchungen; Wunder legitimierten Propheten oder motivierten einen Bären, Kinder zu zerreißen, weil sie einen Propheten wegen seiner Kahlheit verspottet hatten. ‹Wunder› war das, was verwundert, weil es in der alltäglichen Erfahrung nicht oder selten vorkam. Wunder waren Massenspeisungen mit wenigen Broten oder Mannaregen in der Wüste, die Schwangerschaft alter Damen, die Befehlsgewalt über den Sturm oder das Gehen über tiefem Wasser. Durch ein Wunder stürzten beim Klang der israelitischen Trompeten die Mauern von Jericho ein, die es nach Auskunft der Archäologen gar nie gab; auf Befehl Josuas blieb die Sonne stehen, bis die Israeliten die Schlacht gewonnen hatten. Alle Wunder spielten in der sichtbaren Welt.
Wundergeschichten hörten viele Leute gern, einfache Menschen und Gebildete; sie reizten dazu, sie zu vermehren, das Wunderbare der Erzählung zu steigern und neue Wundergeschichten zu erfinden. Augustin gab eine anspruchslose Umschreibung dessen, was er unter ‹Wunder› verstehe: «Wunder nenne ich das, was als etwas Schwieriges und Ungewohntes über das hinausgeht, was jemand, der sich darüber wundert, erhofft oder selbst bewirken kann» ( De utilitate credendi 16, 34). Das war theoretisch gesehen sehr schlicht, und spätere Theologen bastelten technisch vollkommenere Definitionen. Aber was Augustin nur so hinwarf, genügte in einer Welt, die auch einen militärischen Sieg der eigenen Partei oder eine besonders gute Ernte als ‹Großtat› Gottes feierte. Manchmal ergab ein Außenereignis eine
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