Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
das Schöne allgemein und rein.
Diotima predigt nicht. Sie zeigt Möglichkeiten homosexueller Verhältnisse. Sie läßt eventuell den Gott der Philosophen sehen, indem sie zeigt, wie Leidenschaft das Absolute denken lehrt. Ihre Gottheit jenseits der Götter heißt: das Schöne. Die ‹Schönheit selbst› ist anders als der schöne Knabe, nämlich allgemein, in allem Schönen berührbar, aber sie zeigt sich nur dem, der mit der sinnlichen Liebe beginnt. Sie ist nicht das ‹ganz Andere›, sonst wäre das leiblich Schöne nicht schön. Sie lockt zum Reden, zur intellektuellen Anstrengung, zur Aktivität in der Politik. Der Liebende verliert die werdenden und vergehenden Dinge nicht aus dem Blick; kraft der Negation sieht er in ihnen das Nicht-Andere, dessen Abglanz sie sind.
Diotimas Liebes- und Gotteslehre läßt sich durchaus auch kritisieren. Sie spannt Eros in eine zu eindeutige Zielbestimmung ein. Das läßt er sich nicht gern gefallen. Und wer diese Gottheit in sein christliches System einführen will, muß uns noch zeigen, wie die Unveränderliche in seine Geschichtserzählung paßt, sie erleidet nämlich nichts (211 b 5). Aber daß Platons Gottheit die Alltagserfahrung ignoriere, das kann man nicht sagen. Außerdem: Dieser Gott droht nicht und brüllt nicht. Er ist ohne sexuelle Liebeserfahrung nicht zu erreichen. Sexophobie ist ihm fern. Er ordnet körperliche Liebe nicht dem Zuwachs des auserwählten Volkes unter, und sie dient nicht, wie bei christlichen Theologen, der Vollständigkeit der ‹Zahl der Auserwählten›.
Aristoteles konnte nicht so kunstvoll wie der Poet Platon zeigen, wie das Absolute zu denken sei. Er arbeitete am nächsten Schritt. Er lehrte, Gott als Geist und Leben zu begreifen. Beim Nachdenken über seinen Gott verschaffte er der Menschheit erstmals einen Begriff von Selbstbewußtsein. Im zwölften Buch seiner Metaphysik (Kapitel 7, 1072 a 19–1073 a 13) stellt er klar, wie die erste Ursache die Welt bewirkt. Sie steckt nicht die Hände in den Urschlamm und formt Figuren, sondern sie bietet sich dem Weltprozeß als Ziel dar. Die Dinge bewegen sich auf sie zu als auf die Fülle von Weltgestalten. Sie bewegt, indem sie geliebt wird, also nicht mechanisch. Sie ist der Ursprung der Bewegung, weil sie in sich Leben ist. Sie ist Denken; sie denkt sich selbst als den Inbegriff der Welt. Sie ist keine mathematische Weltformel, sondern Selbstbesitz und Genuß. Sie ist die Freude vollständiger Selbsterfassung. Was wir gelegentlich sind, nämlich Glück und Einsicht, das ist sie immer. Das bekommt sie nicht von anderen; das ist sie selbst, in sich selbst. Sie ist selbständige, geglückte Tätigkeit. Sie ist Denken des Denkens. Da sie allen Weltinhalt in sich einschließt, ist sie nicht eingeengt, wenn sie sich selbst denkt. Sie ist keiner Tragik fähig, denn sie kann nicht leiden. Sie paßt nicht in eine Erlösungsstory. Sie bewegt die Sonne und die anderen Sterne, indem sie deren Eigenbewegung anregt. Nichts bewirkt sie mit Gewalt oder Befehl. Sie verursacht keine Sintfluten. Sie hat es mit dem Kosmos als ganzem zu tun. Aristoteles macht die tiefsinnige Bemerkung, das Glück der Gottheit wäre dahin, hätte sie die Einzelheiten des irdischen Lebens vor Augen. Christen, die diese Gottesdarstellung schwach finden, brauchen uns nur noch zu erklären, was aus der Seligkeit ihres Gottes wird, wenn er den Hunger der Kinder in Afrika sieht. Gottes Seligkeit hängt daran, daß er die unselige menschliche Geschichte nicht sieht. Dieser Autarkie-Gedanke ist eines großen Denkers würdig. Sein Gott ist Geist, Leben und Glück, keine Formel, keine tote Abstraktion, allerdings ist er nicht frei von Anthropomorphismus und fesselt außerdem einen halbherzigen Platonismus an alte Kosmologie.
Lange dominierte die Vulgärfassung des aristotelischen Gottes. Sie stützte sich auf das achte Buch der Physik des Aristoteles und seinen Gottesbeweis. Dann war Gott die erste Wirkursache. Thomas von Aquino unterschied nicht zwischen ‹Grund› und ‹Ursache›; er sprach von seinem Gott als der prima causa efficiens , der ersten Wirkursache. Er sah darin das Ergebnis seines besten Gottesbeweises. Dieser sollte nicht von einer Definition ausgehen, sondern von erfahrbarer Wirklichkeit. Er läßt sich so zusammenfassen:
Wir sehen, daß es in der Welt Veränderungen gibt.
Veränderungen sind Kausalverhältnisse.
Hinter jeder Ursache steht eine andere,
d.h. alles, was verursacht wird, wird von einem anderen
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