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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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ungeheuer schwer, die Gunst des jenseitigen Großkönigs wiederzugewinnen; er sei tief verletzt. Augustin hat den Apfelbiß hochstilisiert zu einer so großen Schuld, daß sie das Wesen des Menschen verändert hat. Seitdem erst erfüllt er die Definition, ein sterbliches Vernunftwesen zu sein. Gott war voller Zorn auf ihn, denn in Adam hatte ihm die ganze Menschheit den Gehorsam verweigert. Daher mußte er streng strafen. Das schien eine befriedigende Erklärung der Hinrichtung Jesu. Paulus erneuerte die alttestamentliche Vorstellung vom Sündenbock: Wir haben durch Schuld unser Leben verwirkt; wir laden unsere Schuld auf das Opfertier ab; dessen Blut bringt stellvertretend Versöhnung.    [42]  
    Wenige christliche Denker, darunter Origenes, wollten diese blutrünstige Vorstellung von ihrem Gott fernhalten und konstruierten den Vorgang anders: Durch Adams Sünde bekam Satan wohlerworbene Rechte auf den Besitz der Menschheit. Gottes Gerechtigkeit schloß es aus, dem Teufel seinen Besitz einfach wegzunehmen, ihn sozusagen mit Gewalt zu enteignen. Deswegen sollte der Teufel eine Art Entschädigung erhalten – er durfte den gerechten Gottessohn töten; dafür verlor er seine Herrschaft über die Menschheit.
    Die Christenheit war sich lange nicht einig, wem das Lösegeld gezahlt wurde, dem Teufel oder Gott. Vielleicht auch beiden. Das ist, intellektuell gesehen, wohl ihre größte Merkwürdigkeit. Sie tauschte zwischen dem 3. und dem 12. Jahrhundert die Funktionen zwischen Gott und dem Satan.    [43]   Entweder unterstellte sie ihrem Gott blutige Rachegelüste für eine Untat, die in der ganzen Hebräischen Bibel außer in Text A keine Rolle spielt, oder sie erfand ein Rechtsgeschäft mit dem Satan, dem die Menschheit teuer abgekauft werden mußte, da sie seit dem Sündenfall rechtmäßig ihm gehörte. Beides sind archaische und mythologische Vorstellungen mit altertümlichem Modergeruch, der in der Laborluft des ‹wissenschaftlichen Zeitalters› für manche Zeitgenossen den Reiz eines Kontrastmittels ausübt.
    Es gibt noch andere Bedenken: Christus soll doch Gott sein. Wenn er aber Gott war, dann versöhnte er sich durch seinen Kreuzestod mit sich selbst. Die zweite Person der Trinität mit der ersten? Oder bot Christus sein Blut der ganzen Trinität, darunter sich selbst? Ein Abgrund tut sich hier auf. Allemal floß Blut.
    Mancher Theoretiker der Erlösung durch Kreuzestod streifte das Skurrile. Nach Augustinus verlor die langwährende Teufelsherrschaft über die Menschheit ihre Vertragsgrundlage, als Satan den einzigen Gerechten tötete; er habe den in einer gewöhnlichen Menschengestalt lebenden Gottessohn nicht erkannt. Der Leib, der ihn dem Teufel verbarg, war wie eine von Gott vorbereitete Mausefalle, in die der Satan hineinlief. Er überschritt seinen Machtbereich und verlor dadurch rechtens die wohlerworbene Oberherrschaft über die Menschheit. Die Erlösung durch Menschwerdung und Sühneopfer am Kreuz war die List Gottes, durch die bescheidene Menschengestalt des Gottessohns den Teufel zu täuschen, ihn in die Falle zu locken. So heiter – könnte man nicht sagen: so levantinisch? – faßten Augustinus und Papst Gregor die Erlösung.    [44]  

    Die christlichen Erlösungstheoretiker hinterließen darüber hinaus eine Reihe offener Fragen:
    Bezog sich Gottes Erlösung auf die Sünden der Menschheit insgesamt oder auf die des Einzelnen? Die Akzentverlagerung der Erlösung aufs Jenseits förderte seit dem 2. Jahrhundert bei Christen den Wunsch, aus dem irdischen Leben und allen körperlichen und zeitlichen Bedingungen herausgerettet zu werden. Das ergab eine Art spirituellen Nihilismus: das Christentum als Todessehnsucht. Augustin erklärte, ihm wäre am liebsten, niemand mehr würde heiraten. Aber, fragte jemand zurück, dann würden keine Kinder mehr geboren? Aber genau das war für ihn der ideale Zustand, das angestrebte Erlösungsziel: Kein Mensch mehr auf der Erde, einige Auserwählte im Himmel, die Sündermasse in der Hölle.
    Durfte dann der Christ, der noch auf Erden weilte, sich als ‹erlöst› betrachten? War er nur anfangsweise oder teilweise erlöst? Kam die große, die endgültige Erlösung noch? Kam sie nur für den Einzelnen oder war sie ein universales Weltereignis?
    War die Erlösung ein für allemal geschehen, oder vollzog sie sich als ständiger Prozeß? Hatte sie etwas mit Geschichte zu tun? War sie allein Gottes souveräne Tat, oder verlangte sie eine Selbstbeteiligung

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