Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Volk gelten. Es war nicht primär individuell konzipiert als Ziel eines individuellen Weges, und schon gar nicht für Individuen der anderen Völker. Auch die ersten Jünger Jesu waren überzeugt, sie seien nur zu den Kindern Israels gesandt. Paulus wendete das Blatt: Jetzt wollte Gott, daß alle Menschen selig werden, 1 Timotheus 2,4. Dieser Universalismus forderte Heidenmission. Das hieß vor allem: Alle sind erlösungsbedürftig, aber nur wer glaubt, wird gerettet. Dann werden de facto nicht alle gerettet, zumal wenn außer dem Glauben auch die Taufe mit Wasser und Taufformel gefordert war. Das schränkte den Universalismus des frühen Christentums ein, zumal Paulus die sittliche Verderbtheit der Heidenmehrheit in grellen Farben malte. Nur wer sich bekehrte, konnte erlöst werden. Dazu mußte die christliche Predigt ihn erreicht haben. Das war aber nicht überall der Fall, weder im Jahr 400 noch später. Die überwiegende Mehrheit der Menschen war immer ungetauft; die überwiegende Mehrheit der Getauften sah nie danach aus, zu den Berufenen zu gehören. Trotzdem galt theoretisch lange der universale Heilswille Gottes.
Aber gehört er nicht zum Wesen des Christentums? Ist der Gott des Neuen Bundes nicht die Liebe? Manche Menschen bekommen glasige Augen, wenn sie das Wort ‹Liebe› hören. Deswegen muß man etwas genauer hinsehen. Daß das Christentum die Religion der Liebe sei, ist eines der stärksten Werbemittel der christlichen Kirchen. Können sie sich auf das Neue Testament berufen? Weder der Jesus der Evangelien noch Paulus haben gesagt, daß Gott die Liebe sei. Der Satz kommt zweimal in der Bibel vor, und zwar im 1. Johannesbrief 4,8 und 4,16. Ich streite hier, wo es um Liebe geht, nicht darüber, wer der Verfasser dieses Briefes war; ich halte mich daran, daß man sagt, der Verfasser des Johannesevangeliums habe ihn geschrieben. Dann darf man dieses Evangelium neben den Brief legen.
Ich bleibe zunächst beim 1. Brief : Er sagt unmißverständlich, daß Gott seine Kinder liebt. Seine Kinder sind aber allein die, die Jesus von der Sünde befreit hat und die deshalb im kommenden Zorngericht bestehen werden. Alle anderen Menschen stammen vom Teufel; ihnen gilt Gottes Liebe nicht: 1 Johannesbrief 3,1–10. Es gibt Kinder des Teufels, und es gibt Kinder Gottes. ‹Wir› sind Kinder Gottes. ‹Wir› sollen uns lieben, als Kinder des Lichts. Die Liebe des Christen gilt hier schon nicht mehr dem ‹Nächsten›, sondern nur noch dem miterlösten Glaubensbruder. Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht. Die anderen sind Kinder des Teufels; sie heißen auch ‹Kinder der Welt›. Jeder, der nicht erklärt, Jesus sei der Retter, stammt vom Antichrist . Und der Antichrist ist schon in der Welt, 1. Johannesbrief 4, 2–6. Dieses exklusive Gruppenbewußtsein schränkt die Liebe Gottes auf die Gläubigen ein. Die ‹Welt› ist das Feindliche und Fremde; sie ist das Feld des Antichrist und des Satans.
Christliche Zeitgenossen haben oft gehört, Gott sei die Liebe. Dies war nicht auf die Christenherde beschränkt, und so sind sie geneigt, im Evangelium des Johannes den universalen Charakter der Liebe Gottes und die Anerkennung der ‹Welt› zu finden. Nun habe ich dieses Evangelium oft gelesen; ich komme dabei nicht über den Gegensatz hinaus, der die Frage betrifft, für wen bei Johannes Gott die Liebe ist:
Das Evangelium setzt ein mit der Erklärung: Der Logos war am Anfang, und die Welt ist durch ihn geworden. Er breitet das Licht Gottes über den ganzen Kosmos und über alle Menschen. Er erleuchtet alle Menschen, nicht nur die Christen. Diese Botschaft klingt menschenfreundlich und universalistisch. Aber dann folgen ganz andere Töne:
Jesus wirft ‹den Juden› vor, sie glaubten nicht an ihn, weil sie nicht aus Gott sind: «Ihr habt den Teufel zum Vater», 8,44. Irrlehrer und Nichtchristen stammen vom Teufel. Nur wer wiedergeboren wurde «aus dem Wasser und dem Geist», 3,3–7, gehört zu den Söhnen. Man muß getauft sein, um von Gott geliebt zu werden. Die Liebe Gottes zur Welt besteht darin, daß er seinen Sohn dahingab, damit jeder, der glaubt, das ewige Leben habe, 3,16. Nur wer an den Sohn glaubt, wird vom Vater geliebt. Ein schroffer Gegensatz zwischen Christengruppe und ‹Welt› tut sich auf. Die Welt haßt die Brüder, die einander lieben. [46] Der Jesus des Johannesevangeliums lehnt es ausdrücklich ab, für alle zu beten. Er betet nur für die, die aus Gott sind, 17,9–19.
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