Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Selbstverständnis überhaupt noch an der Bibel orientieren, entscheiden sie sich für die Variante B der Genesis gegen A. Manche glauben noch an den Himmel als an ihre Seelenheimat, fürchten aber nicht mehr die Hölle. In jeder Tageszeitung versichern die Angehörigen Verstorbener, Gott habe den Toten zu sich aufgenommen in sein himmlisches Reich. Gerade die Annoncen hoher Prälaten lassen dem Endurteil Gottes keine Alternative. Sie reden noch nicht einmal mehr vom Fegefeuer als dem vermutlichen Aufenthaltsort des hohen Herrn. Daß er in der Hölle enden könnte , diese einzig kirchlich-korrekte Vorstellung scheint abgeschafft.
Wo das Sündenbewußtsein fehlt, braucht es keine Erlösung. Ich bin kein Christ, denn ich finde mich zwar fehlerhaft und meine Existenz prekär, aber nicht erlösungsbedürftig. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen in Westeuropa ähnlich. Der Erlösungsreligion Christentum entspricht kein Bedürfnis mehr. Sie wird spannungslos, sie wird ein Verein zur Verbreitung von Lebenszuversicht. Luther sah die befreiende Wirkung der Erlösung noch anders: Sie bringt den Christen, schrieb er im Großen Katechismus , 2. Artikel, «vom Teufel zu Gotte, vom Tod zum Leben, von Sund zur Gerechtigkeit».
2. Loskauf
Als die Erlösungsidee noch in ihrem ambivalent-schillernden Glanz stand, enthielt sie bei Protestanten und Katholiken archaisch-befremdliche Nuancen, dunkle Schatten und urtümliche Reste, die oft übersehen, vertuscht oder abgeschwächt werden, als sei «Erlösung» nichts anderes als der Erweis der Liebe Gottes zu den Menschen. Aber die Quellen sprechen eine ganz andere Sprache: Sie reden von Sühneopfer und von Besänftigung des Zornes Gottes, von ‹Loskauf›, und Lösegeld. Da wird ein ‹Schuldschein› zerrissen. Es heißt, der Tod am Kreuz schaffe ‹Genugtuung›, Gottvater verlange von seinem geliebten Sohn Blut und Tod als Sühneopfer. Dem Sohn widerstrebt das, aber er gehorcht. Der Sündenlose bringt sich stellvertretend für die Sünder am Kreuz dar. Gottvater verlange es von ihm, weil er die Menschen liebe. Die Liebe geht aber nicht so weit, auf Kompensation zu verzichten. Gottes Liebe zeige sich bei der Erlösung daran, sagen Theologen, daß er das Tier oder den Menschen gibt, die als Opfertier ihr Blut geben. Seine Liebe ist dadurch moderiert – man könnte auch sagen: begrenzt, oder sogar: durchkreuzt –, daß er im Bewußtsein seiner hohe Würde Schadenersatz verlangt für die Beleidigung durch den Ungehorsam Adams, der für die gesamte Menschheit sprach. Die Verletzung sei auf seiten Gottes unendlich groß gewesen, deswegen bestehe er auf Wiedergutmachung. Die könne aber nur ein Mensch leisten, der ohne Zutun eines Mannes von einer Jungfrau geboren wurde. Denn die Libido bei der normalen Erzeugung eines Menschen übertrage die Schuld Adams auf alle anderen. Gott gewährt der Menschheit Verzeihung, aber nicht formlos, nicht ohne blutige Vermittlung.
Aber liebt er sie nicht schon vorher, wenn er sie befreien will und sich zur Versöhnung entschließt? War er nicht immer mit ihr versöhnt? Bringt erst der Kreuzestod die Versöhnung? Ändert Gott sich durch den Tod Jesu? Ist in seinem Innern etwas Neues passiert? Wenn er anders auf uns blickt, nachdem das Lamm die Sünden der Welt hinweggenommen hat, dann gab es Wandel im Unwandelbaren. Seit genau siebzig Jahren – ich kann es durch einen Zufall exakt datieren – versuche ich, das zu verstehen. Es war im August 1942; es regnete zum ersten Mal Bomben auf die Heimatstadt, mein Spielfre- und Hermann Schneider kam dabei ums Leben, in der Kirche hörte ich, wir seien erlöst, und ich wollte wissen, was das heißt. Der lebensfrohe Kaplan überlegte in der Religionsstunde laut: Wenn Gott uns nicht erlöst vom Krieg, nicht von unserem Hunger und unserer Todesangst, müssen wir ihm dann nicht sagen, er könne auch den Rest für sich behalten?
Es wird einen Grund haben, daß ich mich an diese Frage erinnere, nicht an die Antwort. Im Konzept der Erlösung stimmt einiges nicht.
Die christliche Idee der Erlösung verlangt ein Opfer. Ohne den Tod Jesu am Kreuz war Gott mit der Menschheit nicht zu versöhnen. Er bestand darauf, daß ein Sühneopfer ihm Genugtuung leiste; er wollte Schadenersatz für die unendlich verletzte Ehre. Die Sünde Adams war Majestätsbeleidung. Worte dieses Gewichts dulden keine Abschwächung. Diese Vorstellung von ‹Sühne› und ‹Entsühnung› setzt einen Gott voraus, der über die Kult-
Weitere Kostenlose Bücher