Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Paulus; er gab ihm sein Gesicht und entnahm ihm, was er zur Deutung seines Lebens und des Zustands der nun siegreichen Kirche brauchte. Er griff aus Text A der Genesis und aus dem neunten Kapitel des Römerbriefs heraus, was zu seiner neuen Gnadentheorie paßte. Paulus hatte im Römerbrief Gottes freies Walten im Schicksal des Volkes Israel besprochen; Augustin schrieb das um auf die Erlösung einzelner Seelen. Er machte aus dem Apfelbiß, den der Jesus der Evangelien nie erwähnt hatte, den Sündenfall der gesamten Menschheit und den Beginn der Teufelsherrschaft auf Erden. Ohne diese Menschheitssünde habe es weder Krankheit noch Tod gegeben. Augustin behielt aus seiner manichäischen Zeit so viel an dualistischer Bewertung des irdischen Lebens bei, wie ihm mit seinem neuplatonischen Monotheismus vereinbar schien. Er erdachte die Erbsünde als die durch geschlechtliche Vermehrung übertragene Fortdauer der Ursünde. Er erfand die Erb sünde , die vor ihm ein Erb schaden war, als wahre Schuld, als wirkliche Sünde, die auch den Neugeborenen anhafte, soweit sie nicht ausnahmsweise geschlechtslos zur Welt gekommen waren wie der Erlöser. Dessen Tod befreite zwar nicht von allen verderblichen Folgen der Ursünde, aber versöhnte die Menschen mit dem wegen Adams Ungehorsam erzürnten Gott. Erlösung beendete die universale Teufelsherrschaft. Augustin sah die Defekte der Massenkirche. Er predigte seinen Christen, die Taufe genüge nicht zum ewigen Heil. Ihm zufolge kamen nicht einmal mehr alle Getauften in den Himmel. Die Erlösung brachte nur noch wenigen getauften Auserwählten die Freuden des ewigen Lebens. Diese lagen allesamt im Jenseits. Erlösung wurde von nun an strikt jenseitig verstanden. Sie bestand jetzt darin, mit der unsterblichen Seele in den Himmel zu kommen.
Thomas von Aquino hat dieses Verständnis von Erlösung moderiert, nicht aufgegeben. Er nahm Korrekturen Anselms und Abaelards am älteren Erlösungskonzept auf; auch sie hat er nicht abgeschafft. Luther hat die Erbsündenlehre Augustins verschärft und das Bewußtsein der Erlösten dahin zugespitzt, daß Glaubende gewiß sind, einen versöhnten Gott ( Deum placatum ) zu haben; das Konzil von Trient hat lutheranische Petitessen [35] abgelehnt, aber das kaum gemilderte Kombinationsmodell bestätigt. [36]
Wo immer die christliche Botschaft genau genommen und korrekt gepredigt wird, liegt ihr bis heute Augustins Gnadenlehre der Jahre nach 397 mit einigen Abweichungen zugrunde. Zum fortwirkenden Grundbestand gehören insbesondere folgende Vorstellungen:
Die Menschheit ist ein einheitlicher Rechtskörper; dieser ist durch Adams Schuld mit seinem Schöpfer verfallen;
Adams Sünde ist die weltgeschichtliche Urkatastrophe; durch sie erst sind Krankheit, Tod und Konkupiszenz in die Welt gekommen;
was allen geschieht, die nicht von einer Jungfrau geboren sind, lautet in kraftvoll lutherischen Wendungen so: Sie werden «in Sünden empfangen und geboren, das ist, daß sie alle von Mutter Leibe an voll böser Lust und Neigung sind, keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können … daß sie untüchtig sind zu allen Gottes Sachen»; [37]
Gott liebt die Menschen, besteht aber auf Genugtuung; er fordert ein Sühneopfer wegen der unendlichen Beleidigung durch den Apfelbiß;
der erzürnte Gott kann allein besänftigt werden durch die Tötung des Gottessohns am Kreuz.
Diese Ideen bilden den Grundriß des christlichen Begriffs von Erlösung, aber die Christen beider Konfessionen in Deutschland erfahren das kaum noch. Sie blicken erstaunt auf, wenn man sie fragt, wovon ihr Erlöser sie erlöst habe und wenn man ihnen erzählt, was in ihren Büchern steht. Viele verurteilen Gewaltpolitik und Raubtierkapitalismus, aber als erlösungsbedürftig verstehen sie sich selten oder nie. Hier liegt ein Hauptgrund dafür, daß die Kirchensprache nicht einmal mehr ihre Anhänger erreicht. ‹Erlösung› wäre für sie eine religiöse Spezialleistung, die sie normalerweise nicht in Anspruch nehmen. Nur im Fall einer tödlichen Krankheit beten sie noch, von ihr erlöst zu werden, weil alle anderen Mittel versagt haben. Wenn niemand mehr ernsthaft an die augustinische Erbsündenlehre und Teufelsherrschaft einschließlich der sexuellen Vermehrung als Übertragung realer Schuld an Neugeborene glaubt, verliert die Erlösung ihre alte Prägnanz. Die meisten Menschen haben ein anderes Verhältnis zu ihrem Körper. Wenn sie ihr
Weitere Kostenlose Bücher