Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
Sie sollen ihn hinter ihrem Kopf hochhalten, so dass jeder nur die Banknote des anderen sieht, selbst aber nicht weiß, welchen Schein er hat. Ohne ihr Wissen wurde beiden ein Zehneuroschein gegeben. Die Situation ist also vollkommen symmetrisch. Die Aufgabe besteht für die Bewerber darin, ihre eigene Banknote zu ermitteln.
Niemand der beiden sagt etwas. Was folgt daraus? Nun, jeder der beiden kann schließen, dass es sich bei seiner eigenen Banknote zwingend um eine Zehnernote handeln muss; denn andernfalls hätte derjenige, der einen Zwanzigeuroschein sieht, sofort ermitteln können, dass er selbst eine Zehneuronote hält. Ein Beweis durch Widerspruch en miniature! Die Situation der beiden Kombattanten ist ein Showdown wie im Finale eines Westerns, bei dem sich die Revolverhelden gegenüberstehen. Wer zieht zuerst, d.h., wer zieht den richtigen Schluss zuerst?
Epilogo: Statt den härteren Western-Schluss zu bemühen, hätte man als behutsamer Antoine-de-Saint-Exupéry-Zitierer auch abschließend sagen können: «Überlegen macht überlegen!»
30. Eigenschaftslosigkeit als eigentliche Eigenschaft
Eine Gruppe von Versuchspersonen erhält die Aufgabe, sich ohne Absprache für eine der Zahlen
7, 100, 13, 99, 261, 555
zu entscheiden. Entscheiden sich alle für dieselbe Zahl, so erhält jeder ein hübsches Sümmchen. Welche Zahl soll man wählen?[ 2 ]
Nun, es gibt eine logische Wahl: eine einzige Zahl, an die sich weder persönliche Vorlieben noch Aversionen knüpfen, die weder Glücks- noch Pechzahl ist, weder symmetrische noch runde Zahl. Die einzige prominente Zahl ist die 261, prominent allein durch Abwesenheit jeglicher der genannten Eigenschaften. Es ist die einzige «unbedeutende» der genannten Zahlen, die einzige, die keine Ansprüche stellt.
Neue Zahlen: Die Defensivnull
Fuβballtrainer Mirco Slomka [übrigens auch er ein studierter Mathematiker, doch es muss noch offenbleiben, ob er die Wissenschaft adelt oder die Wissenschaft ihn (Anmerkung des Autors)] hatte Balance als oberstes Spielziel ausgegeben. Zwar sollte die auf Schalke etwas sehr heilige Defensivnull gut verteidigt werden, aber natürlich wollte man sich auch offensiv Respekt verschaffen.
Aus der Süddeutschen Zeitung, 6.3.2008
Es handelt sich um einen Fall interdependenter Entscheidungsfindung. Die Grundfigur ist eine Synthese aus Psychologie, dem Gegenteil von Zahlenmystik und manifester Rückbezüglichkeit. Es geht nicht allein darum, sich zu überlegen: Welche Zahl soll ich wählen?
Ließe man es dabei bewenden, wäre man kognitiv zu früh abgebogen. Und selbst mit Blick auf jedes der anderen Gruppenmitglieder geht es auch nicht nur um die Frage: Welche Zahl würde ich an seiner Stelle wählen? Denn man muss sich nicht einfach nur vorstellen, was jeder der anderen tun würde, denn jeder andere wird die Zahl wählen, von der er sich vorstellt, dass wiederum jeder andere sie wählen wird, und so weiter. Also: Welche Zahl würde ich wählen, wenn ich an seiner Stelle wäre und mich fragen würde, welche Zahl er wählen würde, wenn er an meiner Stelle wäre und sich fragen würde, welche Zahl ich an seiner Stelle wählen würde …?
Ein interdependenter Sumpf ist das hier, in dem rückbezügliches Denken über das rückbezügliche Denken selbst erforderlich ist, aus dem man sich aber interessanterweise am eigenen Schopf herausziehen kann.
31. Die Mathematik von links und rechts[ 3 ]
Links und rechts sind vom Betrachter abhängige Richtungsangaben und stellen fundamentale Anordnungsbeziehungen zwischen den Dingen unserer Umwelt her. Deshalb ist zu erwarten, dass man diese Begriffe auch in der Mathematik an sichtbarer Stelle wiederfindet.
Wenn wir unsere Hände betrachten, so sind diese in gewissem Sinne gleich. Wenn wir allerdings versuchen, sie direkt übereinanderzulegen, sehen wir, dass sie verschieden sind und dass die eine Hand den Platz der anderen nicht einnehmen kann. Legen wir sie dagegen in einer Weise aneinander, dass sich die Handinnenflächen berühren, so verdecken sie sich. Denken wir uns eine hypothetische Ebene zwischen unseren Handinnenflächen, dann ist die eine Hand das Spiegelbild der anderen Hand an dieser Ebene. Unsere beiden Hände sind also nicht deckungsgleich, sondern gehen durch Spiegelung an einer Ebene ineinander über.
Schauen wir in einen vor uns stehenden Spiegel, dann gewinnen wir den Eindruck, dass er links und rechts vertauscht. Stimmt das aber wirklich? Wenn es so ist, warum vertauscht ein Spiegel
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