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Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)

Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)

Titel: Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Hesse
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dann nicht auch oben und unten? Immerhin ist die Spiegeloberfläche völlig glatt. Seine obere und seine untere Seite sind in keiner Weise anders als seine linke und seine rechte Seite. Und wenn wir diesen Spiegel vor uns um 90 Grad drehen, warum wird dann nicht auch unser Spiegelbild gedreht? Das sind keine schlechten Fragen.
    Überraschend ist, dass ein Spiegel entgegen dem Ersteindruck gar nicht links und rechts vertauscht. Das kann man sich mit einem einfachen Hilfsmittel klarmachen: Wenn man einen Pfeil in beide Hände nimmt, die Spitze in der linken Hand und das Ende in der rechten Hand, und ihn parallel zum Spiegel hält, so zeigt der Pfeil nach links und auch das Spiegelbild des Pfeils zeigt nach links, beides von uns aus gesehen. Demnach findet keine Links-Rechts-Vertauschung statt.
    Aber warum denken wir dann, dass links und rechts vom Spiegel umgekehrt werden? Es ist ein kognitiver Fehlschluss. Betrachte ich mich im Spiegel, so vergleiche ich das, was ich sehe, mit der Situation, bei der ich einer realen Person gegenüberstehe, hier einer Kopie von mir selbst. Wie aber hat die Kopie in meiner Vorstellung ihre Position eingenommen? Nun, ganz einfach: Sie ist durch eine halbe Drehung von mir selbst dorthin gelangt. Aber dann würde die Uhr am Handgelenk meiner linken Hand dem freien rechten Handgelenk der Kopie gegenüberliegen. Das ist aber im Spiegelbild nicht so. Die Uhr ist am anderen Handgelenk. Deshalb denke ich, dass der Spiegel links und rechts vertauscht haben muss. Tatsächlich habe ich es aber selbst in meiner Vorstellung getan, in der ich mich ja halb gedreht habe.
    Der Spiegel vertauscht also nicht links und rechts und nicht oben und unten. Aber er vertauscht doch etwas, nämlich hinten und vorne. Gehen wir nochmals zu unserem Pfeil zurück. Halte ich den Pfeil mit der Spitze von mir weg, senkrecht zum Spiegel, so liegt aus meiner Blickrichtung der Pfeilanfang vorn und die Pfeilspitze hinten. Im Spiegel ist es umgekehrt. Aus meiner Blickrichtung liegt jetzt die Pfeilspitze vorn und der Pfeilanfang hinten. Oder noch anders: Wenn ich auf den Spiegel zugehe, scheint mein Spiegelbild aus dem Spiegel herauszukommen. Vorne und hinten werden also vertauscht, in dem Sinne, dass ich und mein Spiegelbild in entgegengesetzte Richtungen laufen.
Wussten Sie schon?
6 der letzten 12 US-Präsidenten waren Linkshänder. Das ist statistisch signifikant und bedeutet wahrscheinlich etwas.
Daniel Geschwind, Genetiker
    Wir können unser Gedankenexperiment noch etwas weiterführen. Durch die bisherigen Ergebnisse sensibilisiert, halten wir nun 2 Pfeile vor den Spiegel. Der eine zeigt senkrecht zum Spiegel mit der Spitze vom Betrachter weg. Der zweite wird quer über den ersten gelegt, beide parallel zum Boden. Es gibt zwei Arten, dies zu tun. Die Spitze des zweiten Pfeils kann entweder rechts oder links relativ zur Zeigerichtung des ersten Pfeils liegen. Was macht der Spiegel aus diesem Arrangement? Er vertauscht die beiden Möglichkeiten, die Pfeile übereinanderzulegen.
    In der Mathematik ist es nötig, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden. Wenn man in Richtung eines Pfeils (mathematisch gesprochen: eines Vektors) schaut, so zeigt jeder Vektor mit einer anderen Richtung entweder nach links oder nach rechts. Das ist eine Aussage über die relative Lage zweier Vektoren. Sie bleibt gültig, auch wenn wir beide Pfeile um den gleichen Winkel drehen oder zwei am Ausgangspunkt fest verbundene Pfeile entlang eines beliebigen Pfades in einer Ebene verschieben. Anders formuliert: Legen wir einen Buchstaben p in eine Ebene, so kann kein wie auch immer geartetes Herumschieben in der Ebene ihn je in sein Spiegelbild, den Buchstaben q, verwandeln.
    Mathematisch sagt man, dass die Ebene orientiert ist. Es macht Sinn, bei Ebenen über links und rechts zu sprechen. Dies ist übrigens alles andere als selbstverständlich. Es gibt zweidimensionale «Welten», die nicht orientierbar sind. Eine davon ist das legendäre Möbius-Band, entdeckt 1858 vom Mathematiker August Ferdinand Möbius. Am einfachsten kann man ein Möbius-Band so erzeugen: Man nehme einen schmalen Papierstreifen, verdrehe diesen um 180 Grad und klebe dann die beiden Enden zusammen.

    Abbildung 28: Möbius-Band
    Dies ist ein Objekt, das nur eine einzige Seite und nur einen einzigen Rand hat. Wenn man auf einer der scheinbar zwei Seiten beginnt, fortschreitend die Fläche einzufärben, so hat man zum Schluss das ganze Objekt eingefärbt. Ähnlich

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