Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
geschaffene Aktivität des geschickten Operierens mit Strukturen und mit Regeln für deren Modifikation so vieles von der Welt, in der wir leben, so erfolgreich erklärt und uns verständlich macht. Wenn man mit einer kontrollierten Explosion in Form einer gezündeten Rakete Menschen aus der Erdatmosphäre hinauskatapultieren und punktgenau zu einem Fleck auf dem Mond fliegen lassen kann, über diese alltagsenorme Entfernung Kontakt mit ihnen halten und sie wieder sicher zur Erde zurückholen kann, wie anders ist das erklärlich, als dass man die Mathematik der Bewegungsgesetze der Himmelskörper und elektromagnetischen Wellen genau kennt, verstanden hat und anzuwenden weiß?
Die Sprache der Mathematik ist eine für viele Menschen gewöhnungsbedürftige Fachsprache, dicht gespickt mit einer eigentümlichen und eigenwilligen Notation, die eine geheimnisvolle Bereicherung des bereits vorhandenen menschlichen Symbolvorrats ist und mathematischen Texten dieses fast mystische Erscheinungsbild verleiht. Die mathematische Symbolik hat dabei einen ausgeprägt minimalistischen Touch. Ein extremes Beispiel ist der Punkt als Multiplikationszeichen, der manchmal sogar ohne Bedeutungsänderung weggelassen wird. Diese inhaltpräzisierende und formkomprimierende Darstellungsweise erlaubt es, eine ungeheuer große Zahl von Eigenschaften und Zusammenhängen mit nur einer Handvoll ausgewählter Symbole einzufangen. Man denke nur an die gewaltige Verdichtung in E = mc 2 , der Ikone unter den Formeln.
Auch eine Fachsprache
Ladung zum 19.10.1984, 9.30 Uhr (pünktl.) (d. per. Ersch. d. Part. bzw. i. gesetzl. Vertr. bzw. e. Vertr., d. z. Aufkl. d. Tatbest. u. z. Abg. d. erf. Erkl. i. d. Lage u. insbes. z. Abschl. e. Vergl. Bevollm. i., i. angeordn.) m. Hinw. u. Ausf. d. Beschl. v. 5.7.1984 sowie begl. u. einf. Abschr. d. SS v. 6.7.84.
Eine vom Landgericht Fulda verschickte Vorladung,
zitiert nach Der Spiegel vom 6.8.1984
Da außerdem die verwendeten Zeichen treffsicher und eindeutig definiert sind, kann die Sprache der modernen Mathematik als präziseste Ausdrucksform menschlichen Denkens angesehen werden. Ihre gebräuchliche formale Verkehrsschrift ist die Resultierende einer Kombination von Präzision, Universalität und Einfachheit. Sie verkörpert eine gedankliche und darstellerische Exaktheit, die manch anderem Gebiet ganz guttun würde.
Der mathematische Zeichenvorrat umfasst neben den zehn Ziffern und den Möglichkeiten, diese durch Aneinanderreihung und Potenzierung zu verknüpfen, auch die lateinischen und griechischen Buchstaben als Platzhalter für mathematische Objekte. Außerdem gibt es die Verknüpfungszeichen +, –, ·,: sowie die Gruppierungszeichen (),{},[] und die Vergleichszeichen >, ≥, <, ≤, = nebst vielen Operationszeichen, wie zum Beispiel. Darüber hinaus sind einige Hundert weitere, aber weniger prominente Symbole in Gebrauch. Zu den visuell reizvolleren gehören Sonderzeichen wie
Manche Zeichen in ihrer aktuellen Form sind das Ergebnis einer vielhundertjährigen Entwicklung; sie haben sich schließlich gegen andere, weniger taugliche Darstellungsweisen durchgesetzt. Auch bei mathematischen Symbolen stellt sich so etwas wie das Überleben der Tüchtigsten ein. Das detaillierte Buch von Florian Cajori aus den 1920er Jahren ist auch eine reichhaltige Kollektion untergegangener Bezeichnungsweisen. Der Mathematiker Samuel Foster machte sich, um ein Beispiel zu nennen, 1659 stark für die Potenzschreibweise mit den Zeichen
für x 2 , x 3 , …, x 9 . So schrieb er etwa
für unser heutiges
Zahlen, bitte!
Ein Eintrag aus dem Dictionary of unusual words:
zenzizenzizenzic – Veralteter Ausdruck für eine zur achten Potenz erhobene Zahl. Eingeführt 1557 von Robert Recorde in seinem Buch The Whetstone of Witte. Das Wort stammt aus einer Zeit, als es noch schwer war, andere Potenzen als Quadrate und Kuben von Zahlen auszudrücken.
Erst allmählich setzte sich die Descartes’sche Schreibweise x 2 , x 3 etc. durch. Diese intuitive Notation unterstützte den Fortschritt der Mathematik in nicht zu unterschätzender Weise, denn von ganzzahligen Exponenten ist es dann nur ein kleiner Schritt zu Brüchen, reellen Zahlen und schließlich imaginären Zahlen als Exponenten. «Nirgendwo wird die Bedeutung einer guten Notation für die zügige Entwicklung einer mathematischen Disziplin deutlicher als in der Potenzschreibweise der Algebra», schreibt Cajori. Symbole geben uns bisweilen mehr zurück, als wir
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