Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
Lebenssituation stets an seine Grenzen und darüber hinaus gehen muss, wer in seinen besten und frischesten Jahren täglich Siege und Niederlagen über sich selbst erlebt, bei denen die Emotionsamplitude wild aus- und oft umschlägt, der hat etwas gelernt über sich, das Denken und die Welt. Und dieses Gelernthaben macht ihn nachdenklich und bescheiden. Er weiß, dass er manches nicht wissen kann und manches nicht wissen will. Und dass das o. k. ist. Dieses Nicht-wissen-wollen-Können macht ihn frei.
116. Mathematischer Mehrkampf: Der Mensch bei den Primzahlen
Euklid hat uns seinerzeit nur mitgeteilt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Man mag sich darüber hinausgehend erkundigen wollen, wie diese unendlich vielen Primzahlen in der Landschaft aller natürlichen Zahlen denn verteilt sind. Allein bei wem? Damit begeben wir uns abermals auf die Bühne der wahrhaft wichtigen ungelösten Mathematikprobleme. Es ist die Frage nach der Gestalt der so genannten Primzahlzählfunktion:
Prim(x) = Anzahl der Primzahlen in der Menge {2, 3, 4, …, x}
Abbildung 74: Graph der Primzahlzählfunktion
Schon in der Antike war ein Rezept bekannt, das es erlaubte, die Primheit einer Zahl zu untersuchen: das Sieb des Eratosthenes. Mit diesem Siebverfahren lässt sich auch die Funktion Prim(x) berechnen. Das Siebverfahren des Eratosthenes besteht aus drei denkbar einfachen Schritten:
1. Setze p = 2.
2. Streiche alle Vielfachen von p hinter p.
3. Setze p gleich der ersten nicht gestrichenen Zahl hinter p und gehe zu Schritt 2.
Welche Wirkung haben diese Streichvorgänge? Man beseitigt im ersten Streichvorgang alle Zahlen der Form 2n, also alle geraden Zahlen außer 2, im zweiten Streichvorgang alle Vielfachen von 3 außer 3, dann alle Vielfachen von 5 außer 5 usw. Nach dem i-ten Streichvorgang sind die ungestrichenen Einträge der bearbeiteten Zahlenliste 2, 3, 4, …, x bis einschließlich zur i-ten Position durch Primzahlen gegeben. Ist man bei dem letzten Element x der Liste angelangt, so endet das Verfahren. Die Anzahl der verbleibenden, nicht gestrichenen Zahlen ist dann der Funktionswert Prim(x).
Wählt man eine der Zahlen aus {2, 3, 4, …, x} rein zufällig aus, so ist sie also mit der Wahrscheinlichkeit Prim(x)/x eine Primzahl. Denkt man an das Sieb des Erathostenes, kann man diesen Quotienten wie folgt berechnen: Man betrachte die Zahlen 2, 3, 4, …, x. Die Hälfte dieser Zahlen ist durch 2 teilbar, ein Drittel ist durch 3 teilbar, allgemein ist der Anteil der durch n teilbaren Zahlen gleich 1/n. Jedenfalls annähernd. Also ist der Anteil der Zahlen, die nicht durch 2 und nicht durch 3 teilbar sind, gerade
Der Term + 1/6 musste hinzugefügt werden, um eine doppelte Subtraktion der durch 6 teilbaren Zahlen zu vermeiden. Der Ausdruck in (5) ist gleich
Auf ähnliche Weise erhält man den Anteil der Zahlen, die weder durch 2 noch durch 3, noch durch 5 teilbar sind, als
Die Summanden 1/6, 1/10, 1/15 dienen dem Zweck, eine doppelte Subtraktion der durch 2 · 3 und der durch 2 · 5 und der durch 3 · 5 teilbaren Zahlen zu vermeiden. Doch wird dieser Ausgleich vorgenommen, so sind alle durch 2 · 3 · 5 = 30 teilbare Zahlen nicht mehr im Saldo enthalten. Auf dieser Überlegung beruht der letzte Term – 1/30.
Der obige Ausdruck lässt sich auch als
schreiben. Es ist nun nicht schwer, diese Überlegungen zu verallgemeinern: Für eine jede Primzahl p gibt das Produkt
für große x annähernd die Wahrscheinlichkeit an, dass eine rein zufällig ausgewählte Zahl aus der Menge der natürlichen Zahlen bis einschließlich x teilerfremd zu allen Primzahlen bis einschließlich p ist. Im engen Zusammenhang mit dieser Wahrscheinlichkeit steht die so genannte Riemann’sche Zetafunktion. Sie ist definiert als
Der Mathematiker Bernhard Riemann (1826–1866) hatte 1859 in seiner neunseitigen Arbeit Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe diese Funktion untersucht und auch eine Vermutung darüber geäußert, die in enger Beziehung zur Verteilung der Primzahlen steht. Wohlgemerkt, eine Vermutung geäußert, nicht bewiesen. Sie ist heute als Riemann’sche Vermutung bekannt.
Mount Riemann. Was ist das wichtigste ungelöste Mathematikproblem der Gegenwart? Einige Mathematiker würden auf diese Frage vielleicht antworten, es sei das Problem, an dem sie gerade arbeiten. Doch von höherer Warte betrachtet, muss man wohl sagen, dass es die Riemann’sche Vermutung ist. Sie macht eine Aussage über die Lage
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