Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
verbreitet: Aus Ochsenzoll ist einer ausgebrochen! In Hamburg wird »Ochsenzoll« umgangssprachlich als Synonym für »Psychiatrie« gebraucht. In Haus 18 der berühmten psychiatrischen Klinik AKO befindet sich die geschlossene forensische Abteilung, hier werden psychisch gestörte Gewalttäter, Serienmörder und Vergewaltiger untergebracht. Die Journalisten müssen nicht lange auf den Namen des Geflohenen warten, denn der Einsatzleiter entschließt sich sofort, eine Öffentlichkeitsfahndung zu starten. Der Entflohene muss so bald wie möglich gefasst werden.
Markus Ebert ist ausgebrochen.
Jeder der Polizeireporter kennt Ebert. Seit einem Jahr ist er im AK Ochsenzoll untergebracht. Er hat vier Frauen vergewaltigt oder sexuell genötigt, drei von ihnen hat er getötet. Noch am selben Abend berichten die Nachrichten im Fernsehen von seiner Flucht und zeigen ein Bild von ihm. Die Zeitungen sind in den Tagen darauf voll von Berichten über diesen Serienmörder. Die Umgebung wird sofort abgesucht. Überall in der Stadt hängen bald Fahndungsplakate. Eine internationale Fahndung wird eingeleitet.
Was folgt, bezeichnen die Medien später als »Psychokrieg«. Ein Magazin nennt es das »Duell der Psychologinnen«. Das ist sehr zugespitzt, aber tatsächlich ist bei der folgenden Fahndung das Zusammenspiel zwischen Psychologie und Kriminalistik so bedeutend wie selten zuvor bei der Hamburger Polizei. Um zu verhindern, dass Ebert einen weiteren Mord begeht, und um ihn wieder in die Forensik zu bringen, wird es darauf ankommen, wie gut wir uns in den Kopf dieses Mannes und seiner Helfer hineinversetzen.
Seine Helfer.
Wie konnte er fliehen? Und wohin? Die ersten Antworten finden die Beamten vor Ort. Er kann nicht ohne Hilfe ausgebrochen sein. In der Turnhalle wird eine Säge gefunden, mit der er sehr wahrscheinlich das Loch in die Decke gesägt hat. Irgendjemand muss sie für ihn dorthin gebracht haben, denn die Patienten haben keinen Zugriff auf gefährliche Werkzeuge. Auch das Seil muss bereitgelegt worden sein. Vor allem aber muss er drei Sicherheitstüren passiert haben, für die zwei Schlüssel erforderlich sind. Woher hatte er die Schlüssel? Oder hat ihm jemand die Türen aufgesperrt?
Wer hilft einem Mann, der drei Frauen umgebracht hat? Und warum?
In der Klinik wird sofort das Personal befragt. Wann wurde Ebert zuletzt gesehen? Gegen 17:45 Uhr. Er verließ mit einer Therapeutin den Gang, in dem sein Zimmer liegt. Der Name der Therapeutin? Sophia Papadopoulou. Sie sei mit Ebert in ein Besprechungszimmer gegangen, um dort eine Therapiesitzung abzuhalten. Allein? Ja, sie sprach immer allein mit ihm – obwohl das offiziell verboten war. Sie sei ohnehin nur für Beschäftigungstherapie in Gruppen zugelassen, habe Ebert aber auf eigene Faust psychotherapeutisch behandeln wollen, und deshalb habe sie Probleme mit ihren Vorgesetzten gehabt. Die Polizisten werden hellhörig. Sophia Papadopoulou?
Noch in der Fluchtnacht wird Papadopoulou in die Klinik einbestellt. Sie ist gebürtige Griechin, lebt seit 18 Jahren in Deutschland und arbeitet seit zwei Jahren in der Klinik. Sie erzählt folgende Geschichte: Um 17:45 Uhr holt sie Ebert auf seiner Station ab, sperrt die Sicherheitstür des Ganges auf und geht mit ihm ins Therapiezimmer. Nach dem Gespräch bringt sie ihn zurück und zieht die Tür zum Gang wieder zu. »Klar, es kann natürlich sein, dass die Tür nicht richtig geschlossen hat, das will ich nicht beschwören«, sagt sie. Es ist angeblich 18:20 Uhr. Danach kehrt sie ins Therapiezimmer zurück, schiebt die Stühle zurecht und fährt nach Hause. Ebert habe übrigens unkonzentriert gewirkt. Am Tag zuvor sei er sehr erbost gewesen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sein offiziell zuständiger Psychiater die Therapie abbrechen wolle. Die zweite gescheiterte Therapie. Das bedeutet, dass er als »untherapierbar« eingestuft wird, und die Strafvollstreckungskammer des Gerichtes höchstwahrscheinlich eine Verlegung von der Klinik ins Gefängnis anordnet. »Er hat gesagt, dass er den Knast nicht überleben würde«, sagt Papadopoulou; er habe von Flucht gesprochen. Sie habe das nicht ernst genommen.
Wohin könnte er geflohen sein? »Er hat gesagt, dass er seine frühere Freundin umbringen will, weil sie vor Gericht gegen ihn ausgesagt hat.« Papadopoulou habe auch das nicht ernst genommen. »Die Freundin lebt in Berlin.« Vielleicht ist das sein Ziel? Berlin? Sah jemand, wie sie ihn zurückgebracht hat? Sie nennt zwei Zeugen.
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