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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brockmann
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nun Fesselungen eine Rolle. Vielleicht Würgen. Er weiß, dass seine Vorstellungen den gesellschaftlichen Konventionen nicht entsprechen, darum redet er mit niemandem darüber. Dadurch kann ihn niemand von seinem Weg abbringen. Vielleicht entwickelt er auch Scham- und Schuldgefühle. Aber diesen schlechten Gefühlen begegnet er mit neuen Phantasien und verschafft sich Erleichterung auf die bewährte Art. Er ist in einem Teufelskreis. Immer ausgefeilter werden die Phantasien. Irgendwann vermischen sie sich mit der Realität. Er baut wirkliche Menschen ein, womöglich Schwächere, Kinder, die er dominieren kann. Seine Frustration wird zugleich größer, da er im realen Leben weiterhin nicht beliebt, groß, mächtig und stark ist. Der Druck steigt. Im schlimmsten Fall reichen irgendwann die Phantasien nicht mehr aus und er schreitet zur Tat.
    Niemand kann in den Kopf dieses jungen Täters blicken. Aber da wir nun den Ablauf rekonstruiert haben, können wir die Tat einer psychologischen Bewertung unterziehen.
    Verbrechen wie dieses befriedigen bedrohliche Bedürfnisse: Überlegenheit gegenüber dem Opfer; die Macht, mit ihm zu verfahren, wie der Täter es will; Gewalt; womöglich auch Sadismus, also Lust am Leiden eines anderen Menschen. Und aus der Art und Weise ihrer Durchsetzung lässt sich darauf schließen, wie fest sich diese Bedürfnisse wahrscheinlich in der Persönlichkeit des Täters verankert haben.
    Es sind kriminalistische und wissenschaftliche Begriffe aus der forensischen Psychologie, nach denen ich den Charakter der Tat nun in meinem abschließenden Bericht einordne. Es geht dabei auch darum, die wahrscheinliche Persönlichkeit des Täters einzuschätzen, so gut wir es anhand des Tatverhaltens können.
    Der »Planungsgrad«? Er muss sich schon lange mit seinen Phantasien befasst haben, damit, wie man Handschellen einsetzt, wie man eine Folterfesselung anlegt. Die ausgefeilte, wohldurchdachte Vorbereitung unterstreicht das: Er hat das Halstuch, die Handschellen und das Kabel bereitgelegt. Er hat das Geschehen ständig unter Kontrolle. Fast keine seiner Taten erscheint als Reaktion auf etwas Unvorhergesehenes, etwa weil er durch Gegenwehr des Kindes überrascht worden wäre. Nein, er bestimmt alles, was geschieht. Verfährt nach Plan. Das ist sehr besorgniserregend. Je intensiver eine Tat vorbereitet wurde, desto stärker ist das Verhaltensmuster, das ihr zugrunde liegt, in der Persönlichkeit des Täters verwurzelt. Es kam anscheinend nicht »plötzlich über ihn«, sondern er hat lange zuvor die Risiken und die Dinge, die ihn faszinieren, im Geiste durchgespielt. Er hatte damit auch länger Gelegenheit, sich mit dem Unrecht seiner Tat auseinanderzusetzen, sich das Leiden seines Opfers vorzustellen, sich die Frage zu stellen: Will ich das wirklich?
    Ich schreibe: »Der Planungsgrad ist als hoch einzuschätzen.«
    Die Tat ist auch sehr »differenziert«. Er muss vorher in Gedanken verschiedene Varianten durchdacht haben: Wenn sie schreit, nehme ich das Halstuch. Damit mich meine Familie nicht zum Abendessen holt, gehe ich zwischenzeitlich hoch. Die Tat war auch außergewöhnlich »spezifisch«. Er hat sich nicht damit zufriedengegeben, ein Kind spontan vom Fahrrad ins Gebüsch zu zerren. Hat er sogar schon seine eigene Handschrift entwickelt? Wahrscheinlich. Er bedient sich zumindest ungewöhnlicher Details wie der Chinesischen Schaukel. Die Phantasie hinter dieser Tat muss sich vermutlich schon länger mit brutalen Details angereichert haben. Sie dürfte ein fester Teil seiner Persönlichkeit geworden sein.
    Und seine »Tatentschlossenheit«? Vermutlich stark ausgeprägt. Er lässt sich durch nichts aufhalten. Weder vom Abendessen mit seiner Familie noch davon, dass Denise erwartet wird. Er zeigt offenbar keine Ambivalenz, er zieht die Tat zügig durch, zögert wahrscheinlich nicht in seinem Tun. Er könnte jederzeit abbrechen. Aber er tut es nicht. Auch keine »Ambivalenzen«, etwa indem er versucht, nach dem Tod ein Tuch über das Gesicht des Kindes zu legen, als Anzeichen von Reue und als symbolische Wiedergutmachung, um dem Mädchen etwas Würde zurückzugeben. Ein »emotionaler Gewinn«? Auch sehr wahrscheinlich, denn er ist erregt und masturbiert.
    Sein »Steuerungsvermögen«? Nicht eingeschränkt. Der Tatverlauf wirkt nicht, als wäre die Tat Folge eines psychischen »Aussetzers«. Alle Schritte seiner Tat greifen logisch ineinander, seine Entscheidungen hat er bewusst gefällt, nichts geht schief

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