Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
»Dolmetscherin«, um einordnen zu können, was die Ausführungen der Psychiater und Therapeuten für die Fahndung bedeuten. Außerdem soll ich eine Einschätzung abgeben: Wie gefährlich ist Ebert auf seiner Flucht?
Wir sprechen mit seinen Therapeuten und Gutachtern, ich nehme mir die Berichte über den Serienmörder, die Vernehmungsprotokolle von Freunden und Angehörigen vor. Niemand aus seinem Umfeld hätte ihm die Gewalttaten zugetraut, so liebesbedürftig, anbiedernd, freundlich und charmant wie er wirkt. Interessant. Das kann für die weitere Fahndung von großer Bedeutung sein.
Im Mai 1992 lauert er einer Schülerin auf dem Nachhauseweg auf, bedroht sie mit einem Messer und zwingt sie in seine Wohnung. Dort fesselt und knebelt er sie. Als er sie mit einem Brotmesser einschüchtert, gibt sie ihren Widerstand auf. Er löst den Knebel und führt Geschlechtsverkehr durch. Danach setzt er sie zu Hause ab. Die junge Frau zeigt ihn an und führt die Polizei zu seiner Wohnung. Der Richter verurteilt ihn im Mai zu 18 Monaten Haft auf Bewährung. Ebert hatte erklärt, dass er davon ausging, der Geschlechtsverkehr sei »auf freiwilliger Basis« geschehen: Sein Opfer habe sich ja nicht mehr gewehrt. Der Richter sagt, dass sich die Aussage nicht widerlegen lässt. Das Urteil wird später als Justizskandal gewertet.
Im Juni 1992, nicht einmal einen Monat nach dem Überfall auf die Schülerin, wird auf einem Acker außerhalb Hamburgs die nackte Leiche einer zweifachen Mutter gefunden. Bald darauf zieht Ebert aufs Land. Im Januar 1993 wird dort in einem Wald die nur mit einem Slip bekleidete Leiche einer jungen Kosmetikschülerin gefunden. Eine Nachbarin von Ebert. Mittels Spuren in seinem Auto kann Ebert überführt werden. Er gesteht nicht nur diese beiden Morde, sondern auch den bis dahin ungeklärten Sexualmord an einer Hamburger Studentin im November 1989.
Drei Vergewaltigungen und zwei Morde? Innerhalb eines Jahres?
Der Drang zu töten dürfte extrem stark gewesen sein. Ich bin mir sicher: Wenn er nicht gefasst worden wäre, hätte er weiter gemordet. Sein Gutachter vor Gericht stufte ihn als hochgefährlich ein.
Genau das ist das Problem.
Ich betrachte sein Tatmuster. Er verfuhr immer auf die gleiche Art: Er bedrohte seine Opfer auf offener Straße, verschleppte sie in seine Wohnung, fesselte sie und verging sich an ihnen. Er quälte sie auch. An einem Opfer fanden sich Brandspuren von Zigaretten, andere hatten Schnitte oder Wunden, die durch ein Werkzeug oder einen Biss entstanden waren. Alle strangulierte er und legte sie nackt oder halbnackt auf einem Acker oder in einem Wald ab. Seinem letzten Opfer brachte er postmortale Verletzungen bei. Er trennte der Frau die Hände ab. Das werteten die Gutachter vor Gericht als Versuch des Vertuschens. Er habe mögliche Spuren unter ihren Fingernägeln verschwinden lassen wollen. Kurz vor dem Mord hatte die regionale Zeitung darüber berichtet, dass ein Mörder wegen solcher Spuren überführt worden war. Ebert hatte sich anscheinend akribisch vorbereitet und war bereit zu lernen, um seine Vorgehensweise weiterzuentwickeln. Ein weiteres alarmierendes Anzeichen. Er trennte der Frau auch das linke Augenlid ab. Ich schüttele den Kopf. Das diente nicht der Vertuschung.
Das weist auf Sadismus hin.
Ein Sadist? Er hat jedenfalls bereits eine ausgeprägte eigene Handschrift entwickelt. Im Fachjargon nennt man das einen »hohen Differenzierungsgrad«: Seine Phantasien sind schon so lange in einem Täter gereift, dass er sie bis ins Detail durchgespielt hat. Entsprechend tief sitzt wohl auch das Bedürfnis, sie durchzuführen.
Und das Jahr in der psychiatrischen Klinik? Hat es seinen Drang eindämmen können?
Es hieß über Ebert, er sei »untherapierbar« und habe keinen Zugang zu seinen Aggressionen. Das passt zu der »Diagnose«, die Papadopoulou für ihren »Lieblingspatienten« gestellt hat: »Multiple Persönlichkeitsstörung«. Wie sich herausstellt, hat Ebert selbst diese Krankheit an sich diagnostiziert und Papadopoulou davon überzeugt. Ein Mensch mit dieser Störung soll angeblich aus mindestens zwei Persönlichkeiten bestehen, die nichts voneinander wissen. Handelt die eine, haben die anderen keinen Einfluss darauf. Ja, es kann sogar sein, dass die anderen Persönlichkeiten sich gar nicht daran erinnern, was beispielsweise Persönlichkeit Nummer 7 getan hat. Denn Nummer 7 und ihre Taten haben nichts mit dem restlichen Menschen zu tun, sie ist ein Fremdkörper in
Weitere Kostenlose Bücher