Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Trotzdem können wir versuchen, Verständnis zu wecken. Hier geht es um Menschenleben.
Es ist ein angenehmes, offenes Gespräch, das Chefermittler Reinhard Chedor am nächsten Tag mit den Hamburger Polizeireportern führt. Sie sagen zu, dass sie mit persönlichen Angriffen auf Ebert vorsichtiger sein werden. Dann übermittelt Chedor unsere vorbereiteten Botschaften. »Aufgrund seines Organisationstalents ist Ebert nicht unbedingt auf Hilfe angewiesen. Wenn er überhaupt Helfer hat, würden diese ihn eher aus finanziellen Gründen unterstützen.« Diese Beschreibung trifft auf seine tatsächliche Situation vermutlich nicht zu, aber wenn Ebert das liest, wird seine Sorge geringer sein, dass seine Helfer auffliegen. Chedor fährt fort: »Wir haben Hinweise aus dem Umfeld, dass er plant, ins Ausland zu fliehen.« Das könnte ihn daran hindern, zu seinem Ziel aufzubrechen. »Aufgrund seines prägnanten Äußeren, der schiefen Nase, seiner Größe von einsneunzig und seines auffälligen Gangs würde er sofort erkannt werden, wenn er sich vor die Tür wagt.« Das sollte zunächst genügen, damit Ebert sein Versteck vorerst nicht verlässt.
Der Hinweis aus dem Gefängnis hat uns in unserer Annahme bestärkt. Ebert sitzt in einer Wohnung, wahrscheinlich noch in Hamburg. Irgendjemand hat sie für ihn angemietet und versorgt ihn dort. Papadopoulou? Doch vor allem braucht Ebert Geld. Die Ermittler haben Papadopoulous Hamburger Konten überprüft: kein Guthaben. Ihr Einkommen als Beschäftigungstherapeutin reicht gerade für den eigenen Lebensunterhalt. Aber wer sonst könnte Ebert helfen?
In Frage kommen das Klinikpersonal und Eberts regelmäßige Besucher. 270 Menschen! Seine Angehörigen immerhin scheiden mit ziemlicher Sicherheit aus. Die Überwachungen und Vernehmungen haben keine Anhaltspunkte ergeben, und der Hinweis des Zellennachbarn »kein Wort an die Familie« ist sehr glaubwürdig. Es gibt ein Kriterium, mit dem wir die Auswahl eingrenzen können: Der Helfer muss über ausreichende Mittel verfügen. Allerdings kommen auch dann noch mehrere Dutzend Personen in Frage. Doch gerade bei einem paranoiden und narzisstischen Menschen spielt auch noch ein weiterer Aspekt eine bedeutende Rolle: die Psyche des Helfers, dessen Persönlichkeit, und die Bindung zwischen Helfer und Schützling. Ich zeichne Skizzen, markiere Passagen in den Akten und telefoniere noch mal mit Therapeuten und Gutachtern.
Welche Eigenschaften muss Eberts Helfer aus psychologischer Sicht haben? Und wie können wir ihn erkennen?
Welche Gründe gibt es, jemandem wie Ebert zu helfen? Es gibt zwei: Habgier oder Zuneigung. Habgier scheidet aus, weil Ebert mittellos ist. Also Zuneigung. Es muss ein Mensch sein, der sich von Ebert beeinflussen lässt und sich zu ihm hingezogen fühlt. So wie Sophia Papadopoulou. Diese Frage hat bereits die Öffentlichkeit fassungslos gemacht: Wieso lässt sich eine diplomierte Psychologin in der forensischen Psychiatrie derart um den Finger wickeln? Von einem Frauenmörder? Die Antwort: Es ist wie mit Schlüssel und Schloss. Wenn sie zueinander passen, geht die Tür auf. Wie ein Schlüssel hat auch das Verhaltensmuster eines jeden Menschen eine spezifische Form, die von seinen Persönlichkeitsanteilen geprägt ist. Ich betrachte Eberts Diagnosen. Was strahlt ein Mensch mit einem Störungsbild wie diesem aus? Da wäre die Paranoia: Die Welt hat sich gegen mich verschworen, ich bin in Gefahr! Der Narzissmus: Dabei bin ich doch etwas ganz Besonderes, Einzigartiges, ich habe Besseres verdient! In dieser Opferhaltung wirkt ein solcher Mensch sehr hilfsbedürftig, was auch typisch ist für Borderline-Persönlichkeiten. Sie brauchen in ihrer permanenten emotionalen Überforderung jemanden, der ihnen beisteht, einen Helfer und Retter. Diesen Menschen idealisieren sie. Kommt auch noch eine narzisstische Komponente hinzu, dann ist die Idealisierung besonders ausgeprägt, da Narzissten ohnehin nur in allergrößten Kategorien denken.
Wenn ich die Vernehmungsprotokolle betrachte, dann sieht das Signal, das Ebert seiner Therapeutin in der Klinik gesendet hat, wohl tatsächlich so aus: »Ich bin ein ganz außergewöhnlicher Fall, ein in Wahrheit guter Mensch mit einer extrem seltenen, tragischen Störung. Und keiner hilft mir! Magst du mein Retter sein? Bist du der einzige Mensch auf der Welt, der mir helfen kann?« Für manche kann das eine unwiderstehliche Verführung darstellen.
Wenn man Papadopoulous Situation betrachtet, könnte
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