Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
ein solcher Schlüssel sehr gut passen. Auch sie fühlt sich von der Klinik ungerecht behandelt. Sie ist eigentlich Psychologin, darf aber nur die Beschäftigungstherapie leiten. Sie klagt unüberhörbar über Missstände in der Klinik, und keiner nimmt sie damit ernst. Im Gegenteil, sie bekommt Rügen, später Abmahnungen. Sie wird nicht wertgeschätzt! Wenn ein solches Gefühl zum Lebensthema wird, kann es enorme Macht über einen Menschen bekommen. Es kann sie zu Straftätern machen wie Ebert. Oder zu Helfern. Braucht Papadopoulou das Gefühl, gebraucht zu werden? Dass sie für einen anderen Menschen wichtig ist, weil dieser auf sie angewiesen ist? Falls ja, hat sie mit Ebert das große Los gezogen. Ein Mann, der ihr sagt: Nur du kannst mich retten! Im gerechten Kampf gegen diese bösen Menschen, unter denen auch du leidest. Im Einzelnen bleibt vieles unklar. Aber wenn der Schlüssel passt, geht die Tür auf. Dann heißt es: »Wir zwei gegen den Rest der Welt!«
Aber dass er drei Frauen brutal ermordet hat? Das muss einen Helfer doch vorsichtig werden lassen? Eigentlich ja. Doch wenn das Bedürfnis nach Anerkennung und Gebrauchtwerden tief sitzt und sehr groß ist und nun die lang ersehnte Erfüllung lockt, blenden Menschen vieles aus. Einer Konfrontation mit unliebsamen Wahrheiten gehen sie aus dem Weg. Sie lassen sich ihren Traum nicht von hinderlichen Ratschlägen oder Warnungen verderben, nicht von all den »Neidern«, »Skeptikern« und »Ignoranten«.
Ebert scheint es anderen zudem sehr leichtzumachen, seine gefährlichen Seiten auszublenden. In der persönlichen Begegnung kann er offenbar sehr überzeugend wirken. Ich rufe meinen ehemaligen Professor an, der ihn in der Klinik begutachtet hat. Ein auffälliger Patient, sagt mein Professor, einer, an den man sich lange erinnert, auch ein gefährlicher Patient, gewissermaßen ein großer Verführer. »Er kann auch rechtschaffene und intelligente Menschen für sich gewinnen, obwohl er in Wahrheit ein extrem hohes Aggressionspotential hat.« Wenn Ebert von jemandem abhängig sei, so wie von ihm als Gutachter, wirke er fast devot. Er habe dann eine milde Art, sei höflich und eloquent, erscheine zugewandt und keineswegs bedrohlich. Ebert könne außerordentlich charmant sein, ja, nahezu einfühlsam wirken. »Aber diese Freundlichkeit erscheint mir instrumentell«, sagt der Professor. »Der Mann ist hochgradig manipulativ.« In der Forensik begegnen einem immer wieder Menschen mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur. Sie empfinden in der Regel kein wirkliches Mitgefühl, können sich nicht gut in andere hineinversetzen. Aber sie haben im Lauf ihres Lebens gelernt, die Signale ihres Gegenübers zu lesen: Was muss ich tun, damit ich von meinem Gegenüber bekomme, was ich brauche?
Manche von ihnen haben ein freundliches, fast anbiederndes Auftreten. Es ist Teil dieses Manipulationsmechanismus. Diese Anschmiegsamkeit scheint zwar in starkem Widerspruch zu den grausamen Taten zu stehen, die diese Menschen begangen haben. Doch in Wahrheit hängt sie sogar mit der Grausamkeit zusammen. Sadisten haben meist in ihrer Kindheit selbst Erniedrigungen und physische oder psychische Gewalt erfahren. Das führte zu großer Aggression, die aber nicht zugelassen wurde, weil die Bezugspersonen nur mit noch mehr Gewalt reagiert hätten. Also deckelten diese Menschen ihre Aggression. Ihre späteren sadistischen Handlungen sind dann ein Ventil für solch fehlgeleitete Aggression. Für eine Aggression, die sie sich selbst oft nicht eingestehen können. Und das ist das Perfide: Solche Menschen können andere von ihrer Gutmütigkeit überzeugen, weil sie selbst davon überzeugt sind.
Wenn unsere Einschätzung stimmt, bedeutet das: Der Mensch, den wir suchen, muss auf dieses Muster positiv reagieren. Und Ebert wiederum muss diesem Menschen vertrauen, was ihm sehr schwerfällt. Dafür muss er ganz sicher sein, dass dieser Mensch ihn so sieht, wie Ebert selbst gerne gesehen werden will. Unsere Kriterien waren darum: Der Helfer muss von Eberts Einzigartigkeit überzeugt sein und sich ihm unterordnen, ihm dienen wollen, und er muss davon überzeugt sein, dass Ebert nicht für seine Taten verantwortlich ist. Dafür muss der Paranoiker Ebert die Möglichkeit gehabt haben, diesen Menschen so intensiv kennenzulernen, dass er sich dessen Loyalität absolut sicher sein konnte.
Die Ermittler sind skeptisch: Wie können wir herausfinden, wer in einem solch engen Verhältnis zu Ebert steht? Wie
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