Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
er ihn in die Seitenlage gezogen. Es war eine Sicherungsstrategie. Das Portemonnaie nahm er vermutlich nur mit, weil es ihm zufällig ins Auge stach. Es ging ihm nicht um Bereicherung – es ging ihm um das Töten!
Die Leiterin der Operativen Fallanalyse Elke Liesener ruft den Chefermittler noch am gleichen Nachmittag an, um ihm mitzuteilen, dass wir ein Ergebnis haben. Wir können zwar kein genaues Psychogramm des Taximörders liefern, aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Dieser Mörder ist psychisch sehr auffällig.
An dieser Stelle möchte ich kurz etwas über Psychosen erzählen. Die bekannteste Form der Psychose ist die Schizophrenie. Schizophrene begegnen der Polizei immer wieder, aber selten, weil sie Straftaten begangen haben. Häufig gehen Anrufe in den Dienststellen ein, weil jemand sich von dunklen Mächten verfolgt fühlt oder glaubt, dass er vom Nachbarn mit einer Strahlenkanone beschossen wird. Immer wieder gehen seitenlange, wirre Beschwerdeschriften bei uns ein. Hinter diesen vordergründig lustigen Telefonaten und Briefen steckt eine schwere psychische Erkrankung. Schizophrene haben häufig Halluzinationen, hören beispielsweise Stimmen, die ihnen befehlen, etwas zu tun. Sie leiden unter Wahnideen wie etwa Verfolgungswahn und denken oft, Geheimdienste oder der Teufel seien hinter ihnen her. Psychiater gehen davon aus, dass die Anlage für eine schizophrene Psychose erblich ist. Ungünstige Faktoren wie eine schwierige Kindheit können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie ausbricht. Und belastende Lebenskrisen können dann den Ausschlag dafür geben, dass es tatsächlich geschieht.
Beileibe nicht jeder Schizophrene wird gewalttätig. Nicht selten werden sie aufgrund ihres sonderlichen Auftretens selbst Opfer von Angriffen. Manchmal aber kann dieser ständige innere Ausnahmezustand auch dazu führen, dass sie andere verletzen oder gar töten. Weil die inneren Stimmen den Befehl erteilen, jemanden anzugreifen. Oder weil die Kranken sich von ihren eingebildeten Feinden so sehr bedroht fühlen, dass sie glauben, sich nur mit Gewalt retten zu können.
Als die Ermittler der Mordkommission noch am selben Tag bei uns sitzen, trägt die Fallanalytikerin Julia Mahnken ihnen die Antworten auf ihre Fragen vor. Sie war bei diesem Fall die Moderatorin der Runde, eine Aufgabe, die jedes Mal ein anderer übernimmt, damit keine eingeschliffenen Abläufe entstehen. Sie sagt den Kollegen, dass wir von einem Einzeltäter ausgehen. Sie schildert ihnen den wahrscheinlichen Ablauf der Tat. Und dann das Motiv: Raub war nicht das primäre Ziel des Mörders – es ging ihm um Gewalt. Er wollte jemanden töten. Drei Schüsse wären nicht nötig gewesen, um sein Opfer handlungsunfähig zu machen und es auszurauben. Dass er die Waffe bei sich trug, weist darauf hin, dass er bereits vorher die Absicht hatte, einen Mord zu begehen. Das Opfer war situativ gewählt. Der Taxifahrer Karl Burger musste sterben, weil er zufällig an der S-Bahn-Station wartete, an der sein Mörder ausstieg. Hätte Burger dort nicht mit seinem Wagen gestanden, wäre wahrscheinlich ein anderer Fahrer gestorben. Den Tatort dürfte der Täter selbst ausgewählt haben, womöglich kennt er sich in der Gegend aus. Wir gehen davon aus, dass der Mörder in jedem Fall unter einer schweren Persönlichkeitsstörung leidet. Höchstwahrscheinlich ist er »dissozial«, das heißt, er hat wenig Mitgefühl, missachtet soziale Normen, kennt keine Reue oder Schuldgefühle und ist leicht reizbar.
Ja, das Profil könne auf den Tatverdächtigen zutreffen, sagt der Chefermittler und bedankt sich.
Die Bilder der Überwachungskameras haben die Ermittler zu ihrem Verdächtigen geführt. Sie hatten einen sogenannten Doppeltreffer: Sowohl an der S-Bahn, an der Karl Burger wartete, als auch an der Station nahe des Tatorts wurde ein Mann im dunkelblauen Anorak gefilmt. Und genau einen solchen Mann hat das Mädchen aus dem Wohnheim beschrieben. Er stieg aus der einen S-Bahn, kurz bevor der Taxifahrer zum letzten Mal seinen Taxameter anschaltete. Und er stieg in der Nähe des Tatorts in die andere S-Bahn, kurz nachdem der Mord geschehen war. Nachdem das Bild in den Zeitungen veröffentlicht wurde, meldeten sich mehrere Leute, die ihren Nachbarn auf dem Foto erkannt hatten. Der 30-Jährige, der daraufhin verhaftet wurde, schweigt zu den Vorwürfen.
Er sagt später nur: »Alles was ich getan habe, hat mir Gott befohlen.« Er macht zu keinem Zeitpunkt Aussagen zur Tat,
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