Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Ermittler noch ich als Psychologin wissen die Antwort. Wenn, dann muss Lehmann von selbst kommen, vielleicht weil sich doch so etwas wie Mitgefühl mit der Familie regt.
Immer noch keine Antworten.
Lehmann sitzt weiterhin in der Psychiatrie. Der andere Tatverdächtige ist mittlerweile auf freiem Fuß. Aus rechtlichen Gründen können wir ihn nicht wieder und wieder vernehmen, solange es keine neuen Ansätze gibt. Jeder der beiden könnte es gewesen sein. Doch es könnte auch ein anderer Mann der Mörder von Hilal sein. Die Ermittlungen laufen weiter. Mord verjährt nicht. Denn das scheint leider die wahrscheinlichste Erklärung für Hilals Verschwinden zu sein. Wann immer ein Sexualdelikt an einem kleinen Mädchen geschieht, überprüfen wir einen Bezug zu Hilal. In regelmäßigen Abständen durchblättern die Beamten die Akten, um zu überlegen, ob es einen neuen Ansatzpunkt gibt. Wenn einer der zuständigen Polizisten die Abteilung verlässt, übernimmt sein Nachfolger die Akten. Die Zeitungen berichten zu den Jahrestagen. Wir bleiben nach allen Seiten offen. Vielleicht fällt doch noch jemandem ein, dass sein Partner, Verwandter oder Bekannter sich in jener Zeit verdächtig verhalten hat. Oft haben Menschen eine Ahnung, aber sie trauen sich nicht, ihr nachzugehen, weil sie fürchten, ihr Verdacht könnte sich bestätigen. Weil sie nicht wahrhaben wollen, dass ein Mensch aus ihrem Umfeld ein Mörder sein könnte. Aber genau auf diese Zeugen sind wir und Hilals Familie angewiesen. Auch die immer noch Verdächtigen behalten wir im Auge. Wir können nicht sicher sein, dass es einer der beiden Männer war. Aber es ist durchaus möglich, dass sich jemand heimlich daran erfreut, welche Folter und welchen Schmerz er der Familie antut, und im Verborgenen genießt, welche Macht er hat.
Die Familie E. wartet noch immer auf eine Gewissheit, auch wenn sie mittlerweile zu akzeptieren versucht, dass sie ihre Tochter und Schwester nie wiedersehen wird. Es ist ein lebenslanger Prozess für Angehörige. Über Jahre hinweg kommen die Alpträume, in denen das verlorene Kind auftritt. Auch das Wesen der Angehörigen scheint sich in vielen Fällen zu verändern. Der eine wird vielleicht überaktiv, der andere zieht sich zurück und interessiert sich nicht mehr für das, was um ihn herum geschieht. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Wutausbrüche. Es entsteht auch häufig das Gefühl, selbst tot, stumpf, leer zu sein. Viele Menschen greifen nach einem solchen Verlust zum Alkohol.
Hilals Eltern denken noch heute jeden Tag an ihre Tochter. Sie sind in einen anderen Stadtteil gezogen, weg vom Einkaufszentrum. In ihren Phantasien taucht Hilal immer wieder auf. Sie wäre heute eine erwachsene Frau. Sie würde selbst ihr Leibgericht Sarma kochen können, gefüllte Weinblätter. Vielleicht würde sie studieren, denn sie war doch eine so gute Schülerin, damals in der vierten Klasse. Und noch immer zuckt ihr Vater zusammen, wenn er auf der Straße ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren sieht.
Dagobert
Am 13. Juni 1992 um 01:00 Uhr explodieren in der Karstadt-Filiale in der Hamburger Mönckebergstraße drei Rohrbomben. Sie sind miteinander verbunden, der Täter hat sie in der Porzellanabteilung im Kellergeschoss versteckt. Sie zertrümmern Vitrinen, Geschirr und Vasen. Die Explosion setzt die Sprinkleranlage in Gang, alles steht unter Wasser. Menschen werden nicht verletzt. Niemand weiß, wer der Täter ist, so ist es immer in diesen Fällen. Und der Täter will auch unerkannt bleiben. Auch das ist immer so in diesen Fällen.
Unter diesen üblichen Voraussetzungen beginnt ein Duell, das sich unüblich lange hinziehen wird. Es wird über fast zwei Jahre gehen, der unbekannte Täter wird erstaunlichen Ruhm und Bewunderung in der Bevölkerung erlangen und wir, die Polizei, einigen Spott ernten.
Erpressungen sind keine einfache Angelegenheit. Allerdings nicht nur für die Polizei. Sondern auch für den Täter. Das ist unsere Chance.
Zwei Tage nach der Explosion geht ein Schreiben bei der Geschäftsstelle der Karstadt AG in Hamburg ein. Es ist bereits am Tag vor der Explosion abgesandt worden. Der Brief ist auf einer Schreibmaschine getippt und mit » XXX « unterzeichnet. XXX schreibt:
Ich fordere hiermit von Ihnen 1 Million DM in 1000 DM Scheinen. In der Nacht vom 12.06 zum 13.06 gab ich Ihnen eine Demonstration für meine Entschlossenheit mein Ziel auch mit Gewalt durchzusetzen. Diesesmal es war nur ein besserer Knallfrosch.
Nächstesmal
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