Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
dieser Beamte die heikleren Fragen, der andere hält sich dann etwas zurück und beobachtet.
Bei Lehmann hat sich der »nette« Kommissar als Bezugsperson herauskristallisiert. Lehmann nennt ihn Kumpel, träumt davon, mit ihm mal die Klinik zu verlassen und bei einem Ausflug ein Bier zu trinken. Der Kollege muss schnell klarstellen, dass er diese Phantasie nicht erfüllen wird. Falsche Versprechungen machen die Konstellation nur komplizierter. Und kompliziert ist sie ohnehin. Wir müssen das leider in den folgenden Monaten feststellen.
Die Kollegen besuchen ihn immer wieder. Lehmann leugnet weiter. Aber dann beichtet er einer Bekannten, dass er »Phantasien« hatte, in denen ihre Halbschwester vorkam. Das kleine Mädchen ist Halbtürkin. Lehmann gesteht gegenüber seiner Tante die Tat, streitet sie im gleichen Gespräch dann aber wieder ab. Er verliebt sich in einen Patient und erzählt auch ihm vom Mord an Hilal. Der Patient berichtet den Polizeibeamten, Lehmann hätte Worte wie »Waldstück, irgendwie verbuddelt« gesagt und geschildert, wie er seinen Golf verkaufte, aus Angst vor DNA -Spuren. Uns gegenüber streitet er weiterhin alles ab. Aber plötzlich erzählt er ungefragt, dass er zur Tatzeit wirklich nicht in dem Garten arbeitete, der ihm ursprünglich als Alibi diente. Er habe auf einem Friedhof gegärtnert: zehn Minuten entfernt vom Einkaufszentrum, vor dem Hilal verschwand. Dann gibt auch noch Lehmanns Chef zu, dass Lehmann allein auf dem Friedhof gearbeitet haben könnte. Er hätte jederzeit unbemerkt auf Kindersuche fahren können.
Ein vernehmender Kommissar konfrontiert Lehmann mit einem weiteren Ermittlungsergebnis: »Eine Zeugin hat Sie damals auf einem Spielplatz in Hilals Wohngegend gesehen.« – »Die Zeugen wollen mich reinreißen!« – »Die Zeugin hat doch keinen Grund zu lügen.« Lehmann verliert die Fassung: »Ja, ich kannte Hilal. Ich habe sie auf dem Spielplatz angesprochen. Ich habe sie aber nicht entführt und nicht umgebracht!« Vielleicht habe er schon einmal Mädchen in der Gegend angesprochen. Er beschreibt die Kleidung eines dieser Kinder. Es entspricht der Kleidung, die eine Freundin von Hilal drei Tage vor deren Verschwinden trug. Sie war damals gemeinsam mit Hilal auf einem Spielplatz. Später sagt Lehmann dann aber, er habe sich das nur ausgedacht. Immer wieder vernehmen die Kollegen ihn, mal der »nette« Kommissar, mal ein anderer. Lehmann wird immer nervöser. Er muss zwischenzeitlich sogar im Krisenraum der Klinik untergebracht werden. Suizidgefahr.
Und dann ist es wieder so weit: Lehmann gesteht ein zweites Mal.
Über ein halbes Jahr nachdem wir die Spur »Lehmann« wieder aufgenommen haben, gibt er gegenüber einem Therapeuten zu, Hilal getötet zu haben. Es sei in der Nähe einer Hausruine passiert, er habe danach versucht, die Leiche zu verbrennen, und sie später in einen Müllcontainer gesteckt. Er ruft gleich danach im Präsidium an und wiederholt die Schilderung.
Es folgt ein Nervenzusammenbruch. Lehmann verbringt ein paar Tage im Krisenraum, bevor er im Polizeipräsidium vernommen wird. Er weint und erzählt, dass Mitinsassen ihn bedroht hätten. Seine Tante und die Großmutter kommen. Er erzählt ihnen, dass er die Leiche in einen Müllcontainer gelegt habe. Den Beamten sagt er, er habe sie bei der Hausruine auf einer Wiese vergraben.
Also fahren wir mit ihm zur Ruine. Er weist den Weg zur Wiese: Dort liegt sie angeblich. Einige Tage drauf ruft er wieder im Präsidium an, sagt, es sei doch der Müllcontainer gewesen, dann wieder die Wiese. Er fährt bald darauf mit den Beamten zur Wiese und markiert mit einer Spitzhacke die genaue Stelle. Seiner Großmutter schildert er, wie er das Kind würgte, was er dabei empfand und dass es so schöne Augen gehabt habe.
Ein paar Tage später fährt ein Team der Polizei und des Technischen Hilfswerks zur Wiese. Ein Georadargerät wird eingesetzt, das die Erdschichten mit elektromagnetischer Strahlung untersucht. Sie suchen und graben. Und finden wieder nichts.
Lehmann bleibt dennoch bei seinem Geständnis, er will wieder mit der Polizei zur Wiese fahren, er droht zwischenzeitlich mit Suizid, widerruft schließlich sein Geständnis, behauptet dann aber, er habe es nur zurückgezogen, weil sein Anwalt es so wollte.
Irgendwann wird uns klar: Wir werden an dieser Stelle vorerst nicht weiterkommen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Lehmann der Mörder ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er es nicht ist. Weder die
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