Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
neuer Woll- oder Baumwollspinnereien sowie Eisengießereien ein Riegel vorgeschoben. Andere Branchen, etwa Webereien und Färbereien, benötigten für die Inbetriebnahme neuer Werke die Genehmigung des Militärgouverneurs. Später wurde die Baumwollspinnerei generell ausdrücklich verboten. Dadurch sollte jegliche weitere Konzentration potentiell aufständischer Arbeiter in der Stadt verhindert werden.
Die Ablehnung der Eisenbahnen ging, wie in Österreich-Ungarn, mit der Bekämpfung der Industrialisierung einher. Vor 1842 gab es in Russland nur eine einzige Eisenbahnlinie: die siebenundzwanzig Kilometer lange Strecke von St. Petersburg zu den kaiserlichen Residenzen Zarskoje Selo und Pawlowsk. Da Kankrin die Industrie ablehnte, sah er ebenfalls keinen Grund, sich für Eisenbahnen einzusetzen, die eine sozial gefährliche Mobilität verursachen würden. Zudem »sind Eisenbahnen nicht immer das Ergebnis der natürlichen Notwendigkeit, sondern eher Gegenstand künstlicher Bedürfnisse oder des Luxus. Sie leisten überflüssigen Reisen von Ort zu Ort Vorschub, was für unsere Zeit ganz und gar typisch ist.«
Kankrin wies zahlreiche Eisenbahnprojekte zurück, und erst 1851 wurde eine Linie zwischen Moskau und St. Petersburg gebaut. Die Politik des Finanzministers setzte Graf Kleinmichel fort, der zum Leiter der Hauptverwaltung für Verkehr und öffentliche Gebäude ernannt wurde. Diese Institution traf die wichtigsten Entscheidungen über den Eisenbahnbau, und Kleinmichel benutzte sie dazu, entsprechende Pläne zu durchkreuzen. Nach 1849 zensierte er sogar Zeitungsartikel über die Erweiterung des Bahnnetzes.
Karte 13: Eisenbahnen in Europa im Jahr 1870
Karte 13 zeigt die Folgen dieses Vorgehens. Während Großbritannien und der größte Teil Nordwesteuropas von Eisenbahnlinien durchzogen wurden, war auf dem riesigen Territorium Russlands kaum eine Trasse zu finden. Die offizielle Ablehnung der Eisenbahn endete erst nach der vernichtenden Niederlage gegen die britischen, französischen und osmanischen Streitkräfte im Krimkrieg (1853–1856), denn da begriff man, dass die Rückständigkeit des Verkehrsnetzes eine ernsthafte Bedrohung für die russische Sicherheit darstellte.
Transport verboten
Der Absolutismus herrschte nicht nur im Großteil Europas, sondern auch in Asien, wo er die Industrialisierung während der durch die Industrielle Revolution erzeugten kritischen Phase ebenfalls verhinderte. China unter der Ming- und der Qing-Dynastie sowie das Osmanische Reich mögen als Beispiele hierfür dienen.
Unter der Song-Dynastie zwischen 960 und 1279 war China technisch führend in der Welt. Die Chinesen erfanden lange vor den Europäern Uhren, den Kompass, Schießpulver, Papier und Papiergeld, Porzellan und Hochöfen für die Produktion von Gusseisen, und ungefähr zur selben Zeit Spinnräder und Wasserkraft. Infolgedessen war der Lebensstandard in China um 1500 wahrscheinlich mindestens genauso hoch wie in Europa. Daneben verfügte China jahrhundertelang über einen zentralisierten Staat mit einer leistungsorientierten Beamtenschaft.
Doch China war absolutistisch, und das Wachstum zur Zeit der Song-Dynastie vollzog sich unter extraktiven Institutionen. Es gab keine politische Vertretung für soziale Gruppen außerhalb der Monarchie, also nichts, was einem Parlament oder den Cortes ähnelte. Kaufleute hatten in China stets einen unsicheren Status, und die großen Erfindungen der Song entstanden nicht durch Marktstimuli, sondern unter der Ägide oder sogar auf Geheiß der kaiserlichen Regierung. Kaum etwas davon wurde im Handel verwertet.
Die staatliche Kontrolle verschärfte sich unter der Ming- und der Qing-Dynastie noch, die der Song folgten. All dem lag die übliche Logik extraktiver Institutionen zugrunde. Wie die meisten Herrscher, die mit Hilfe solcher Institutionen regieren, widersetzten sich die absolutistischen Kaiser Chinas jeglichem Wandel, strebten nach Stabilität und fürchteten schöpferische Zerstörung.
Dies lässt sich am besten durch die Geschichte des Außenhandels belegen. Wie aufgezeigt, spielten die Entdeckung Amerikas und die Art der Organisation des internationalen Handels eine Schlüsselrolle für die politischen Konflikte und die institutionellen Veränderungen im Europa der frühen Neuzeit. In China dagegen waren selbständige Händler üblicherweise innerhalb des Landes tätig, während der Staat den Überseehandel für sich monopolisierte. Nachdem die Ming-Dynastie 1368 an
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